Reinhard Höppner ist tot - ein Nachruf

Reinhard Höppner ist gestorben. Damit ist neben Walter Romberg, der vor anderthalb Wochen starb, ein weiterer der profiliertesten Sozialdemokraten der Ost-SPD von der Bühne des Lebens abgetreten. Der Mathematiker Höppner, auch diese Profession hatte er mit Romberg gemein, gehörte zu jener schmalen Schicht politisch denkender Menschen in der DDR, die sich mit Freiheit und Demokratie identifizierte, und die deshalb immer Distanz zum politischen System der DDR hielten. Erst in der wiedergegründeten sozialdemokratischen Partei, die sich anfangs SDP nannte, und in die er  im Laufe der friedlichen Revolution eintrat, fand er seine politische Heimat. Hier machte er schnell Karriere. Dabei kam ihm Erfahrung auf Versammlungsleiter, die er als Präses seiner evangelischen Landeskirche machen konnte sehr zu gute. So wurde Höppner zum Versammlungsleiter der Delegiertenkonferenz der SDP im Januar 1990, welche der erste ordentliche Parteitag der Sozialdemokraten war, und auf der sie sich in SPD umbenannte. Auf der Landesliste von Magdeburg zog er in die erste und einzige frei gewählte Volkskammer der DDR ein, und avancierte auch hier zum ihrem wichtigsten Versammlungsleiter. Aufgrund des Wahlergebnisses dieser ersten freien Wahl in der DDR, wo die SPD mit etwas über 20 % für viele damalige Beobachter enttäuschend abschnitt, konnte Höppner zwar nur stellvertretender Volkskammerpräsident werden. Doch seine sachkundige, faire, dabei auch humorvolle, gelegentlich zielführende Versammlungsführung brachte ihm Anerkennung aus allen Fraktionen ein, und führte dazu, dass er die Leitung immer auch in den brenzligen Volkskammersitzungen, von denen es nicht wenige gab, übernahm.

 

Ausgestattet mit diesem Ruf und seiner im letzten halben Jahr der Existenz der DDR entstandenen Popularität machte ihn die SPD von Sachsen-Anhalt zum Spitzenkandidaten ihrer ersten Landtagswahlen. Dabei errang sie bei der zweiten Landtagswahl 1993 ein so gutes Ergebnis, dass eine Regierungsbildung nur noch mit der SPD möglich war. Höppner nutzte diese Schlüsselstellung um mit Hilfe der PDS eine Regierung ohne die CDU bilden zu können. Zwar ging er noch keine Koalition mit der ehemaligen SED ein, doch ließ er sich bei der Wahl zum Ministerpräsidenten von ihr tolerieren. Damit war Höppner der erste ostdeutsche Spitzensozialdemokrat, der ein damals heftig umstrittenes Tabu brach. Bislang war die Ost-SPD immer stark antikommunistisch aufgetreten. Höppner folgten mit diesem Schritt die Sozialdemokraten Mecklenburgs-Vorpommerns, Berlins und schließlich Brandenburgs.

 

Höppner hat sich wenig an programmatischen Debatten in der SPD beteiligt. Mir ist nicht bekannt, dass er sich groß zum demokratischen Sozialismus bekannt hätte. Doch durch sein Tolerierungsmodell hat er die weitere Entwicklung der Politik der Ost-SPD wesentlich mitbestimmt. Gleichzeitig bemühte er sich, seine Regierungsmodell, das berühmte Magdeburger Modell eben nicht als Modell für andere Länder, schon gar nicht in der alten Bundesrepublik, oder auf Bundestagsebene anzupreisen. Er wollte es als eine spezifisch anhaltinische Variante sozialdemokratischer Regierungspolitik verstanden wissen. Sein Landesverband folgte ihm dabei weitgehend. Doch die kritischen Stimmen dagegen sind nie verstummt.

 

Für Höppner galt eine große Koalition mit der Ost-CDU, bei welcher die SPD Juniorpartner gewesen wäre als die schlechtere Wahl, weil er diese Partei für zu wenig kreativ und selbstbewusst wahrnahm. Ihm schwebte eine radikalere Sozialpolitik und stärkere Interessenvertretung seiner anhaltinischen, ostdeutschen Landsleute gegenüber einer CDU vor, die mit ihrer Bundespolitik und Helmut Kohl als Kanzler für Höppner eine wesentliche Ursachen für die wirtschaftlichen Misere von Sachsen-Anhalt darstellte. In der Tat war sein Land mit seiner traditionellen chemischen und Stahlindustrie vom Deindustrialisierungsprozess der seinerzeit von der Treuhand exekutiert wurde in besonders schwerem Fall betroffen. Die Arbeitslosenzahlen schwankten zwischen 20 und 30 %.

 

Kritiker hielten ihm dagegen vor, ein schlechter Demokrat zu sein, und das Wahlergebnis, welches die CDU zu stärksten Partei gemacht hatte, nicht anzuerkennen und die PDS hoffähig gemacht zu haben. An beidem ist etwas dran, und dennoch nicht die ganze Wahrheit.

 

Die Parteienlandschaft in Ostdeutschland gestaltete sich in wesentlichen Punkten anders als in der alten Bundesrepublik. Es entwickelte sich in Richtung eines Drei-Parteiensystems, mit der SPD in der Mitte, zwischen der PDS links und der CDU rechts von ihr. Zu verlockend schien für einige sozialdemokratische Strategen die Aussicht zu sein, als Partei in der Mitte sich den jeweiligen Koalitionspartner aussuchen zu können. Und wichtiger noch als die relative Mehrheit einer Partei, wenn sie denn nicht über eine absolute Mehrheit verfügt,  ist ihre Koalitionsfähigkeit. Insofern stach der Vorwurf sich gegenüber der CDU undemokratisch zu verhalten zumindest in formaler Hinsicht nicht.

 

Und die PDS hatte sich wohl 1993 auch schon etabliert. Die niederschmetternden Erfahrungen der Deindustrialisierung, worunter vor allem die ostdeutschen Arbeiter litten, ließen ihre Wahlergebnisse in die Höhe schnellen. Der PDS gelang es, den Unmut der Ostdeutschen zu benennen, umzuinterpretieren und damit eine Einheit von ostdeutsch und postkommunistisch herzustellen. Die übrigen Parteien, auch die SPD nicht, fanden darauf keine Antwort. Das Magdeburger Modell hat diese Konstellation noch stabilisiert. Und leider auch die Frage nach der Verantwortung der PDS für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Ostdeutschlands zu Lasten der Anklagen gegen die westdeutsche CDU zurückgestellt. Das im besonderen war Höppners Beitrag zur Ostalgie.

 

Höppner war wohl auch kaum in der Lage die postkommunistische PDS historisch einzuordnen. 1918 gründeten sich die Kommunisten aus dem Spartakusbund. Die meisten von ihnen waren vorher z.T. anerkannte Sozialdemokraten, doch die Trennungsgründe schwergewichtig. Die Kommunisten lehnten die bürgerliche Demokratie ab und wollten ihre Ziele mit einer Diktatur erreichen. Damit hatten sie für die Sozialdemokraten den Rubikon überschritten. Ihr Sozialismus war ohne Freiheit undenkbar, statt dessen nur in Freiheit zu erreichen. Eine wie auch immer geartete Diktatur lehnten sie ab. Die Feindschaft der Kommunisten auf ihre alten Weggefährten war auch deshalb so erbittert, weil die Kommunisten in den Sozialdemokraten den eigentlichen Hinderungsgrund für die Errichtung ihrer Diktatur sahen. Das Scheitern der kommunistischen Gesellschaftsvorstellungen war absehbar. 1989 wurde der Kommunismus in Deutschland entmachtet, seine Vision erlosch. Es sah so aus, als könnte sich die Gesellschaft von der kommunistischen Tradition befreien. Doch die SPD entwickelte keine politische Strategie dafür. Statt dessen akzeptierte sie die Existenz der Postkommunisten. Sie sah in ihr, wie Höppner mit seinem Magdeburger Modell, mehr Zukunftsfähigkeit als bei der CDU. So sah sich die ehemalige SED plötzlich wieder rehabilitiert und anerkannt. Das ist der eigentliche Makel  des Höppnerschen Regierungsmodells.

 

Höppners Versuch einer Entzauberung der PDS durch ihre Einbindung in Regierungsverantwortung gelang nicht. Die SPD verbuchte nach zwei Legislaturperioden Magdeburger Modell eine schwere Wahlniederlage. Die wirtschaftlichen Daten seines Landes sahen damals auch nicht berauschend aus. Auch blieb die Mitgliedschaft in der anhaltinischen SPD schwach, woraus man schon ersehen kann, dass ihre Attraktivität sehr begrenzt war. Die Frage nach einem Erfolgsrezept für die ostdeutsche SPD, womit es ihr gelingen kann, zahlenmäßig entscheidend zu wachsen, und gleichzeitig ihre Wahlergebnisse zu steigern, ist bis heute offen geblieben.

 

Nach seiner Ministerpräsidentenzeit ist es still geworden um Reinhard Höppner. So kam die Nachricht seiner Krebs-Erkrankung die jetzt zu seinem Tod geführt hat, für viele überraschend. Was bleibt ist Höppners Selbstbewusstsein in der Volkskammer und als Chef der anhaltinischen Landesregierung. Er ist Risiken eingegangen, die andere geschmäht hätten. Er ist seinen Weg aufrecht gegangen und stand zu seiner Verantwortung. Sein humorvoller, sachlicher, seine analytischen Fähigkeiten, sein gewiss auch manchmal schneidender Ton wird fehlen.

 

 

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