Der Begriff „parlamentsunwürdig“ ist zum falschen Symbol eines richtigen Anliegens geworden 

Keine Frage, Stasi’s gehören nicht ins Parlament. Keine Frage, der Protest dagegen ist nicht nur legitim, sondern fast schon eines Demokraten Pflicht ist. Denn wer ehemalige MfS-Mitarbeiter ins Parlament holt, verhält sich menschenverachtend und tritt unsere demokratischen Werte, insbesondere die der friedlichen Revolution 1989/90 mit Füßen.

Doch eine ganz andere Frage ist es, mit welchen Mitteln der Kampf gegen die ehemaligen Schlapphüte der DDR heute in der politischen Auseinandersetzung geführt wird. Denn auch hier heiligt der Zweck nicht die Mittel.

Auch die Unabhängigkeit des Abgeordneten, der laut Artikel 38 Grundgesetz nur seinem Gewissen und „dem ganzen deutschen Volk“ gegenüber verantwortlich und deshalb an „Gebote und Weisungen nicht gebunden“ ist, ist ein hohes Gut, das es um der Demokratie willen zu verteidigen gilt. Deshalb hat das Thüringer Verfassungsgericht die Möglichkeit, Abgeordneten wegen Stasi-Tätigkeit das Mandat abzuerkennen, gekippt. Besser wäre allerdings gewesen, es hätte auch gleich den Begriff „parlamentsunwürdig“ mit gekippt. Aber das hat es diabolischer Weise dem Parlament selbst überlassen, welches damit überfordert war. Denn natürlich gehört ein solcher Begriff nicht ins Gesetzbuch. Moralische Urteile dürfen keine Sache des Gesetzgebers sein.  Es kann nicht Sache des Staates sein, über das moralische Verhalten, über die „Tugenden“ oder „Untugenden“ der Bürger ein Urteil zu fällen. Sonst käme der Staat in die Rolle eines Sittenwächters, und das wäre der gerade Weg in die Gesinnungsdiktatur. Dieser Weg hat im Frankreich der Großen Revolution 1789 direkt unter die Guillotine geführt. Deshalb muß der Staat sich aus moralischen Debatten heraushalten.

Gleichwohl müssen moralische Debatten geführt werden. Aber das sind Sachen der Parteien, oder der Medien, auch religiöser Institutionen, und natürlich jedes Einzelnen. Die Auseinandersetzung gerade im Vorfeld von Wahlen muß hierbei klar und deutlich sein, und darf in der Sache auch hart geführt werden. Wenn eine Wahlentscheidung aber erst mal getroffen ist, darf sie aus moralischen Gründen nicht anschließend konterkariert werden.

Das heißt, sind Stasi’s erst mal gewählt, kann man ihnen das Mandat auch nicht mehr entziehen. Erst recht ist es nicht Sache des Staates, sich über die Rechtmäßigkeit von ordentlich zustande gekommenen Wahlergebnissen ein Urteil zu erlauben. Auch hier sind statt dessen wieder die Parteien und die Öffentlichkeit gefragt.

Es ist nicht das Verdikt „parlamentsunwürdig“ als solches, was in die Diskussionen gekommen ist, es ist die Frage, ob der Staat dieses Verdikt aussprechen darf. Und das ist etwas ganz anderes als die Stasi-Debatte als solche.

In Thüringen sind beide Anliegen, nämlich der Frage, ob der Staat das Verdikt „parlamentsunwürdig“ fällen darf und die über die Stasi’s im Parlament in Konflikt miteinander gekommen.

Der Kampf um das Festhalten des Verdikts „parlamentsunwürdig“ im Thüringer Abgeordnetengesetz, mit dem die Stasi-MdL gebrandmarkt werden sollen, ist sogar zum Symbol des Kampfes gegen die ehemaligen IM’s im Thüringer Landtag geworden. Doch das ist das falsche Symbol für ein richtiges Anliegen.

Es gibt zwei Gründe dafür, dass es so weit kommen konnte. Der erste hat mit Bodo Ramelow zu tun, dem Ministerpräsidenten Thüringens und gleichzeitig ersten LINKEn Ministerpräsident in Deutschland.  Ihm geht es bei der Streichung des Verdikts „parlamentsunwürdig“ aus dem Thüringer Abgeordnetengesetz darum, seinen ehemaligen Stasi’s einen Persilschein auszustellen, und ihr Parlamentszugehörigkeit als etwas normales hinzustellen, was es nicht ist, und niemals sein wird.  Bodo Ramelow war es, der nach einer „Schonfrist“ von 15 Jahren der Meinung ist, dass nunmehr dem Thüringer Wahlbürger die Mitgliedschaft von ehemaligen Stasi’s im Landtag zuzumuten sei, dass das legitim sei, ja geradezu normal. Das ist ein Angriff auf demokratische Grundwerte. Und das muss zurückgewiesen werden.

Etwas ganz anderes aber ist es, wie dieser Begriff überhaupt ins Abgeordnetengesetz gekommen ist. Das hängt mit der CDU zusammen, die ihn 1995 dorthinein schreiben ließ. Die CDU, die ja bis 1989 Teil der SED-Diktatur war, konnte sich mit ihrer Vergangenheit gut hinter der Stasidebatte verstecken, und ihre eigene Mitttäterschaft verbergen. Sie ist damit auch um die  Aufarbeitungsdebatte ihrer eigenen DDR-Geschichte herumgekommen. Und dafür hat sie die Beschädigung der Institution Parlament biiligend in Kauf genommen, wie sie überhaupt vorher schon vieles in Kauf genommen hat, was zum Repressionssystem der SED-Diktatur gehört hat.

Dass die Partei die LINKE den Kampf um die Streichung des Begriffs „parlamentsunwürdig“ aus dem Abegordnetengesetz betreibt, wundert einen eigentlich nicht. Ist diese Partei doch aus der ehemaligen SED hervorgegangen, und hat viele Systemträger der alten Diktatur in ihren Reihen. Denen ist es ein innerer Vorbeimarsch, die demokratischen Werte der friedlichen Revolution 89, von der sei einst gestürzt wurden, zu schleifen.

Doch ein originäres Anliegen der Koalitionspartner Ramelows, der SPD und den Grünen ist es eigentlich nicht. Die haben eine andere Geschichte. In ihrem Interesse liegt die Verharmlosung der Stasi-Vergangenheit nicht. Leider haben sie die Möglichkeit, die Partei die LINKE zu zwingen, diesen Grundwert mit anzuerkennen nicht wahrgenommen. Entweder ist ihnen ihre Geschichte gleichgültig, oder sie verstehen deren Bedeutung nicht. Beides ist schlimm genug.

Doch das hilft alles nichts. Der Begriff „parlamentsunwürdig“ sollte aus dem Abgeordnetengesetz gestrichen werden, weil er dort nicht hineingehört, und weil er dort eine Verballhornung der Geschichtsauseinandersetzung darstellt.

Richtig ist vielmehr, in die Offensive zu gehen, und vom Parlament zu verlangen, nicht nur die Stasi-Hintergründe seiner Mitglieder offenzulegen, sondern auch der Systemträger unter ihnen. Die Debatte, da hat Christian Dittrich, der Thüringer Stasi-Beauftragte völlig Recht, muß weg von einer reinen Stasi-Debatte, hin zu einer Debatte auch um die politische Verantwortung für die SED-Diktatur. Da gibt es zum Beispiel die ehemalige CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht, die ihre Vergangenheit geschönt hat. Sie war nie eine Oppositionelle in der DDR-CDU, sondern eine richtige Blockflöte. Sie hat die DDR verteidigt, wie sie war. Und sie hat ihre Haltung erst geändert, als die Menschen auf der Straße die Freiheit bereits erkämpft hatten. Da mag es auch noch manch andere geben. Die Menschen Thüringens haben ein Recht darauf, zu wissen, mit welcher Vergangenheit ihre Abgeordneten Thüringer Recht und Gesetz bestimmen.

Diese Debatte wird außerparlamentarisch geführt werden müssen. Aus verschiedenen Gründen gibt es zur Zeit keinen parlamentarischen Partner dafür. Denen einen fehlte die Courage, den anderen der Scharfsinn. Die nächsten wollen einfach an die Macht, und verkaufen ihre Geschichte dafür. Gleichwohl ist es richtig, für ein Parlament zu streiten, das sich der Geschichte würdig erweist. Doch in der jetzigen Legislaturperiode mit einem Erfolg zu rechnen, das halte ich für unrealistisch.

Doch es geht nicht um „viel Feind viel Ehr“. Es geht einfach darum, an demokratischen Grundwerten festzuhalten. Die sind richtig, und die bleiben es. In der alten Bundesrepublik hat es auch 40 Jahre gedauert, bis ein ehemaliger Richter der Todesurteile über Wehrmachtsdeserteure gefällt hatte, aufflog und zurücktreten musste. Diese öffentliche Debatte gilt es zu führen, und das Bewußtsein wachzuhalten, das in Ostdeutschland zu einer Befreiung vom Kommunismus geführt hat. Das ist allemal wichtiger, als der Kampf um einen verlorenen Begriff. 

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