Lob der Organisation

Als ich 32 war, stieß ich zur Opposition. Gerade noch rechtzeitig, um zu lernen, was Streit, Auseinandersetzung und Kompromiss bedeuten, kurz demokratisches Miteinander.

Das ist anfangs alles andere als einfach gewesen.


Einander aushalten


Für unseren kleinen Friedenskreis Vorträge ausarbeiten und halten, das ging ja noch. Da hatte man ja nur mit kritischen Nachfragen und gegensätzlichen Statements zu tun. In der Regel aber waren es zustimmende, angenehme Kommentare. Schwieriger war es schon beim Planen der nächsten Veranstaltung, in der Regel das nächste Friedensgebet, das allmonatlich vorbereitet werden musste. Denn hier gingen die Vorstellungen weit auseinander.

Zwar flogen nicht die Fetzen, aber es war unangenehm, zu erleben, dass die eigenen Vorstellungen manchmal so überhaupt nicht geteilt wurden. Es war schwierig, Veranstaltungskonzepte zu entwickeln, von denen nur gefühlte 10 % übernommen wurden. Es ging an die Nieren, wenn anscheinend gut vorbereitete Argumente abgelehnt wurden aus manchmal nur schwer nachvollziehenden Gründen.

Umgekehrt musste ich mir Vorstellungen anhören, die ich nicht nur nicht teilte, sondern für glatten Unsinn, gar Schwachsinn hielt. Da wollte jemand die Monarchie wieder einführen, als Alternative zur SED-Diktatur. Ein anderer wollte sich gar nicht mit dem System beschäftigen, sondern nur mit der Volksbildung. Als Einbindungsversuch empfand ich das letztere, als Armutszeugnis das erstere.


Ego


Klar hielt ich mich selbst für den Besten. Meine eigenen Analysen haben mich nicht nur im damaligen Kreis am ehesten überzeugt. Sie fußten auf eigenen Überlegungen, auf Reflexionen, manchmal auch aufs Literaturstudium, immer aber aufs eigene Denken. An Selbstbewusstsein hat es mir noch nie gemangelt. Doch wenn ich mich mit Brachialgewalt hätte versucht durchzusetzen, wäre vielleicht  der Laden auseinandergeflogen. Also habe ich mich in Schweigen, Aushalten und im Diskutieren geübt. 

Auch der Umgang mit dem Pfarrer war nicht ganz einfach, obwohl es für mich eine Traumkonstellation bedeutete. Denn dieser Pfarrer, der den Friedenskreis selbst gegründet hatte zur Unterstützung der Vorbereitung und Durchführung der Friedensgebete, war mein Vater und häufig auch Gesprächspartner. Gleichwohl störte mich seine Zaghaftigkeit und mangelnder Mut. Natürlich hatte er andere Erfahrungen gemacht, und wollte bei aller kritischen Grundhaltung nicht seine  Stellung in der Gemeinde durch allzu viel Provokation staatlicher Macht aufs Spiel setzen.


Veranstaltungen nur gemeinsam


Das musste ausgehalten werden. Immerhin, Friedensgebete, faktisch meine ersten Veranstaltungen  konnten nur mit dem Friedenskreis gemeinsam geplant werden. Ich war einer von vielleicht sieben. Alle trugen die Verantwortung für das Gelingen und gegenüber den Besuchern, auch den konspirativen gemeinsam.


Erfolg


Und dann konnten Themen angesprochen werden, wie der in der DDR latente Rassismus, der Kriegsdienst der DDR, die Verlogenheit der Diktatur, die geschlossenen Grenzen, die Bewunderung Polens, der Mut der Ungarn, für das ich sonst nirgendwo leicht hätte ein anderes Podium finden können.

Und dann hatten wir Erfolg. Mit unserem Mut, vor allem mit dem Gelingen der eigenen Projekte, mit den gefundenen Kompromissen, und mit dem von Mal zu Mal gewachsenen Mut.


Intellektuelles Vergnügen


Dieser Friedenskreis probte den aufrechten Gang. Wir begannen öffentlich zu sagen, was wir dachten. Wir sprengten unsere Grenzen und begannen die in der DDR vorhandenen Tabus aufzubrechen; ein großer Emanzipationsschritt für mich.


Bedeutung der Organisationserfahrung


Das machte alles zusammen die Arbeit im Friedenskreis auch zu einem großen intellektuellen, letztlich auch politischen Vergnügen, ohne das ich mir die Zumutungen der Organisationsarbeit der späteren SDP wohl sonst nicht zugetraut hätte. Denn die war letztlich nichts anderes als eine Wiederholung der Erfahrungen im Friedenskreis, wenn auch auf ungleich höherem politischen Niveau.

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