Einen Demokratisierungsschub brauchen die Hochschulen

Jetzt wird wieder eine Sau durchs Dorf getrieben. Man möge mir den Vergleich verzeihen. Denn mit von der Leyen ist nicht die Sau gemeint, sondern ein neuer Plagiatsverdacht, diesmal bei ihrer Doktorarbeit.


Dabei ist das nichts anderes als ein Ablenkungsmanöver.


Natürlich dürften die Vorwürfe stimmen. Aber sie stimmen nicht nur bei von der Leyen, sondern bei ganzen Generationen von Promovenden. Von der Leyen ist halt nur ein weiteres Mal  wieder hoch prominentes Opfer, ähnlich Schavan. Nicht ähnlich von Guttenberg. Denn bei ihm war das Plagiat Daseinsform. Bei den beiden Frauen eher ein Hilfsmittel.


Doch darum geht es nicht.


Es geht um die Wissenschaft, deren Strukturen von den Opfern, die sie produziert betrogen werden wollen.


Nichts ist in unserem Lande so hierarchisch, so intransparent organisiert wie die Wissenschaft. Ihre Strukturen stammen aus dem Mittelalter und haben bis heute überdauert. Sie verhält sich wie ein Orden, dessen Nachwuchsrekrutierung einen mehr an Leibeigenschaft und das Knappenwesen erinnert, als das es etwas mit dem mündigen Bürger der Moderne zu tun hat.


Wer heute Doktor werden will, muss sich in die unbedingte Abhängigkeit von irgendeinem Doktorvater begeben, von dessen Gnade es abhängt, ob er zum Schluss den Titel auch erhält. Häufig wird die Einhaltung formaler Kriterien verlangt, wie die Anzahl der gelesenen Bücher, also ein Riesenliteraturverzeichnis von Büchern, die man natürlich selbstverständlich nicht gelesen hat. Das war für die Abfassung der Arbeit auch gar nicht nötig. Aber es schmückt die Arbeit, also wird es hineingeschrieben. Jeder weiß das. Das Wissenschaftssystem unserer Zeit orientiert sich mehr am Schein, als an der Wirklichkeit.


Jeder weiß das. Promovenden blähen ihre Literaturliste auf, und schmücken sich auf

diese Weise mit einem wissenschaftlichen Background, den sie nicht haben, haben konnten. Sie liebedienern ihren Gutachtern, indem sie deren bevorzugten Meinungen  bedienen und aus ihren  Veröffentlichungen zitieren. Sie bedienen die Ansprüche des Wissenschaftsbetriebs, ohne ihn zu erfüllen. Keine Frage.


Aber das ist die Reaktion auf die Hilflosigkeit, in der sie sich befinden.


Denn sie werden schamlos ausgebeutet. Sie schreiben die wissenschaftlichen Arbeiten ihrer Chefs, ohne dass ihre Autorenschaft überhaupt in der Veröffentlichung angezeigt wird. Sie machen die Lehrveranstaltungen, sie entwickeln Vorlesungskonzepte, sie sitzen auf halben Stellen, arbeiten aber für zwei, und werden nebenbei unterbezahlt. Sie sind abhängig von dem Wohlverhalten ihrer Doktorväter, ohne deren Zustimmung sie gar nicht zur Verteidigung ihrer Arbeit anzutreten brauchen. Willkür, manchmal Mobbing ist an der Tagesordnung. Für den Nachwuchswissenschaftler gibt es kaum eine wirksame Berufungsinstanz, an die sie sich dann wenden können. Es ist kein Wunder, dass zur Zeit fast die Hälft aller Doktorenden scheitert, und das Verfahren abbricht.


Dass sie zu ihrer Entlastung Zuflucht zu kleineren oder größeren Tricksereien nehmen, ist kein Wunder. Und das muss sich der Wissenschaftsbetrieb selbst zurechnen. Er betrügt seinen Nachwuchs um die Fairness, die er verdient und braucht, und wird dann im Gegenzug betrogen.


So erklären sich die vielen Betrugsfälle, die jetzt mit Vroniplag, also den neuen Methoden der Datenverarbeitung öffentlich ausgewertet.


Diese Betrügereien aber sind Symptom eines Wissenschaftsbetriebes, der seinem Nachwuchs die Mündigkeit und Würde nimmt. Und dies ist der eigentliche Skandal, der an den Pranger gestellt werden müsste.


Passieren tut was anderes. Diejenigen, aus deren Abhängigkeit sich die Promovenden sich mit ihren Tricksereien zu befreien suchten, sitzen zu Gericht über ihren Opfern. Sie, die sich eigentlich schämen sollten, weil ihre Gutachter die Tricksereien entweder nicht bemerkt haben oder über sie hinweg gesehen haben, und sich damit ja auch einer groben Pflichtverletzung schuldig gemacht haben, versuchen die Verantwortung bei ihren alten Promovenden von gestern abzuladen.


Nötig ist was anderes.


Die Wissenschaft sollte aufhören ihren Nachwuchs als Wasserträger zu behandeln. Es handelt sich um mündige Menschen, die in der Regel ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten bereits im Studium unter Beweis gestellt haben. Sie sind Partner und keine Diener. Sie müssen von dem hierarchischen Wissenschaftssystem befreit werden, indem dieses System enthierarchisiert und demokratisiert wird.


Dafür ist es notwendig, dass in Zukunft unabhängige Gutachterkommissionen, die von dem Hochschulkörper gewählt werden, und ihnen rechenschaftspflichtig sind, die Doktorarbeiten prüfen.


Genauso ist es notwendig, dass auch die Berufungskommissionen für die Neubesetzung der Professorenstellen vom gesamten Hochschulkörper gewählt werden, und ihm rechenschaftspflichtig sind.


Selbstredend sind die Studenten und Mitarbeiter integraler Bestandteil des Hochschulkörpers. Und in Richtung all jener, die den Studenten verantwortliches Handeln nicht zutrauen, muss gesagt werden, dass Studenten junge Erwachsene sind, die sehr wohl über die Fähigkeiten an vernünftigen Personalentscheidungen mitzuwirken verfügen. Indem in Zukunft Promotions- und Berufungsverfahren demokratisch auch zu ihnen rückgekoppelt werden, wird ihr Potential für die Schaffung einer unabhängigen Hochschul-internen Öffentlichkeit und Kontrolle genutzt.


Damit könnten die überkommenen hierarchischen Strukturen beseitigt werden. Ehrgeiz muss sich dann nicht mehr einzig an Lehrstuhlinhabern und Gutachtern orientieren, sondern an den demokratisch gewählten Gutachter- und Berufungskommissionen. Das wäre ein entscheidender Schritt zu einer modernen und demokratisch verfassten Hochschule, die ihren Nachwuchs nicht mehr in Notlagen stürzt.

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