Was ist eigentlich Vernunft ?

Diese Begriff verwende ich sehr gern. Er ist einer meiner Leitbegriffe. Gerade in Zeiten überschwänglicher Gefühle hilft dieser Begriff bei der Orientierung. Und er ist der Maßstab schlechthin zur Beurteilung der politischen Lage und der zu ergreifenden Maßnahmen. 

 

Vernunft ist natürlich eine philosophische Kategorie. Er baut auf die Fähigkeit unseres Verstandes auf, logisch zu denken, Fakten von Gerüchten zu trennen, Ursache und Wirkung zu bedenken, die Wirkung von Gefühlen einzuschätzen und davon abstrahieren zu können. Das ist übrigens der erste wirklich wichtige Punkt beim Begriff der Vernunft. Verstand und Gefühl sind hier keine sich ausschließenden Gegensätze; der Bauch wird nicht gegen den Kopf ausgespielt. Sie bestehen nebeneinander und gleichzeitig, sie durchdringen sich wie Hegel sagen würde. Genau dies zu sehen, und sich von seinen Gefühlen und denen anderer nicht überwältigen zu lassen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen der Vernunft. 

 

Entscheidend ist aber etwas anderes:

 

Vernunft besteht erst im Zusammenhang mit von unseren Werten, wie etwa Freiheit, Toleranz, Nächstenliebe, Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit, Solidarität oder Leistung. Diese Werte sehen ja bei jedem bekanntlich auch anders aus, sind nicht nur unterschiedlich gewichtet. Entsprechend hat für jeden Vernunft auch eine andere Bedeutung. Vernunft ist immer auch individuell. Deshalb gibt es nicht die eine Vernunft schlechthin. Viele aber unserer Grundwerte sind bei vielen Menschen ähnlich. Sie scharen sich um Grundbegriffe wie Freiheit und Gerechtigkeit einerseits, oder christliche, konservative bzw. auch liberale Grundwerte andererseits. Dies macht auch den Kern politischer Grundverständnisse aus, die wiederum konstitutiv für unsere Parteienlandschaft sind. Und das ist kein Zufall. 

 

Vernunft vereinigt das eigene Wertebild bei der Beantwortung der Frage, was geschehen soll, bzw. sollte. Vernunft ist auf das Verhalten hin ausgerichtet. Sie betrifft unsere Zukunft. 

 

Denn so wie ich mich selber sehe, sehe ich auch meine Mitmenschen. Auf meinen Grundansichten, meinen Werten baut mein Handeln auf. Unsere Werte sind unsere Prämissen. Sie sind unsere Lebensgrundlagen. Vernunft ist die Fähigkeit, sie zusammen zu denken und bei der Lösung all unserer Probleme, von den kleinsten, wie den kompliziertesten einfließen zu lassen. Und so werden in einem freien Land freier Menschen, politische Probleme eben anders gelöst, als in einem Land unterdrückter und angepasster Menschen. 

 

Wir nehmen uns durch die Vernunft selber ernst. Wir bleiben bei uns, wie die Psychologen sagen. Wir sind auch sprachfähig, wir können sagen, warum wir etwas für richtig oder falsch halten. Vernunft hilft im Gefängnis ebenso, in schwierigsten kompliziertesten Lebenslagen,  wie an der Spitze großer Institutionen, bei Entscheidungen von großer Tragweite und hoher Verantwortung. Vernunft hilft bei der Kindererziehung und bei der Gestaltung aller Lebensbeziehungen. Und sie hilft bei der Bewältigung meiner Lebensentscheidungen, die ich ganz alleine für mich zu treffen habe. 

 

Natürlich darf ich meine Werte dabei nicht wie ein formales, konstruiertes Gebäude mit mir herumtragen. Sie wirken erst, wenn sie verinnerlicht sind. Das sind sie aber meistens. Wir sind schon sehr früh von ihnen geprägt, sie haben uns von Kindesbeinen an begleitet, wir haben sie überdacht und verändert. Sie sind nichts stehendes, formales, sondern unsere Antworten darauf, was uns im Leben wichtig ist. 

 

Und genau das, was uns im Leben wichtig ist, muß seinen Platz bei der Überlegung haben, was wir wollen, dass geschieht. Neben allen rechtlichen, natürlichen, technologischen und politischen Kräftekonstellationen mit denen wir es zu tun haben, brauchen wir uns selbst nicht zu vergessen. 

 

Also ist die Vernunft die Fähigkeit von uns Menschen zusammenzudenken, was zusammengehört. Und in Bezug auf die Demokratie bedeutet sie, dass wir uns als Gleiche unter Gleichen verstehen, die sich einbringen, ohne zu diktieren, und die kompromissfähig sind, weil sie wissen, dass andere die gleichen Rechte haben wie wir selbst. 

 

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