Das Versagen der SPD

Von allen westdeutschen Parteien der alten Bundesrepublik hebt sich das der SPD mit ihrer spezifischen eigenen innerdeutschen Politik in besonderer Weise heraus. 

Das ergibt sich aus ihrer Vorreiterrolle in der Entspannungspolitik mit der sie ja einen ganz neuen Abschnitt des Umgangs der beiden Blöcke miteinander im Kalten Krieg eingeläutet hatte. Willy Brandt folgte damit einer Erkenntnis aus seinen Erfahrungen mit dem Mauerbau und seiner Besuchspolitik. Er übersprang gewisse westliche Tabus gegenüber dem Osten. Und es gelang ihm, dem Osten Zugeständnisse zu Gunsten der West- und letztlich auch Ostberliner abzuringen. Damit veränderte er nicht die Blockkonfrontation an sich. Aber er entdeckte Spielräume für eine Politik menschlicher Erleichterungen gewissermaßen unterhalb der Spannungs- und Druckpunkte im Kalten Krieg. Aus diesen Erfahrungen entwickelte er dann als Kanzler sein großartiges Konzept der Entspannungspolitik. 

 

Doch in den achtziger Jahren sah die Politik der SPD anders aus. 

Die SED schien zu einem Partner für die SPD aufgestiegen zu sein. Erich Honecker wurde von Helmut Schmidt zu einem deutschen Patrioten gekürt. Die sozialdemokratischen Granden gaben sich in Ostberlin die Klinke in die Hand. Man forderte von der SED zwar Reformen, aber die Existenz der DDR selbst wurde faktisch nicht mehr in Frage gestellt. Die Möglichkeit, dass sich die DDR-Bürger in einer Revolution ihrer verhassten SED-Diktatur entledigen würden, kam der SPD überhaupt nicht in den Sinn. Als Eppelmann mit seiner Idee der Gründung einer sozialdemokratischen Partei - via Manfred Stolpe - im Ollenhauerhaus vorstellig wurde, beschied man ihn abschlägig. 

 

Durch die umfangreichen Kontakte zwischen SPD und SED entstand eine gewisse Normalisierung zwischen beiden Parteien. In deren Folge sind Loyalitäten entstanden, die über die Deutsche Einheit hinweg Bestand hatten. Die SED wurde, was noch in den 60-ger Jahren völlig undenkbar gewesen war, zu einem akzeptierten Interpreter der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR. In der SPD mehrten sich die Stimmen, die der DDR ein linkes Gesellschaftsmodell attestierten, das Errungenschaften vorzeigen konnte, nach denen man sich im Westen sehnte: die flächendeckenden Kinderbetreuung etwa, das einheitliche Sozialsystem, die niedrige Arbeitslosigkeit, die niedrigen Mieten. Von dem anhaltenden totalitären Charakter der SED-Diktatur war nicht mehr die Rede. Der Unrechtsstaat unter dem die DDR-Bürger zu leiden hatte, wurde nicht thematisiert. Unproduktiv sei das, wurde unterstellt. Hinderlich dabei, Leute aus dem Knast zu holen. Man sah in der SED keinen Handlanger der Moskauer Führung, sondern eine eigenständige Partei, der man ein ehrliches Interesse an Frieden und Normalisierung unterstellen konnte. 

Ja, die SPD ging dazu über, Reformen in der DDR nicht nur anzumahnen, sondern die SED grundsätzlich für reformfähig zu halten. Nicht erst seit Gorbatschow, sondern schon vorher. Dann aber besonders. Man ließ sich auf ideologische Gespräche mit der SED ein. Die SPD entwickelte ihre eigen Hybris, als sie begann sich zuzutrauen, mit ihrer Politik die SED selbst zu verändern. Dafür sprechen die Gespräche der Grundwertekommission, in welchem die SED nun vollends zu einem gleichwertigen Partner der SPD geworden war. Da helfen auch die Tränen nicht, die Eppler bei seiner großen Rede am 17.Juni 89 im Bonner Bundestag hielt, indem er zwar einerseits einräumte, dass die SED offenbar keine Reformen wolle, aber auch erklärte, dass man keine Partei daran hindern könne, sich selbst zu Grunde zu richten. Gerade hier wird die SED-Fixiertheit des SPD-Spitzenpersonals besonders deutlich. Die SPD hat sich von der SED die Welt erklären lassen. Und so veränderte sich die SPD in ihrer zweiten Phase der Entspannungspolitik mehr zu einer Akzeptanz der SED-Diktatur hin, als dass ihre Hoffnung, die SED könnte selber demokratische Reformen in der DDR einleiten, in Erfüllung ging. Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, sagt der Volksmund dazu. 

Egon Bahr, der deutschlandpolitisch gerade in den achtziger Jahren die Federführung für die SPD innegehabt hat, träumte noch weitergehend von einem wie auch immer gearteten Zusammengehen der beiden - ehemaligen und durch die ideologische Brille betrachteten - Arbeiterparteien. Er hielt seine Kontakte zum Zentralkomitee der SED selbst dann noch aufrecht, als die DDR-Bürger schon wochenlang auf der Straße demonstrierten. Er wollte ein Zusammengehen der in der DDR neugegründeten SDP mit dem Berghofer-Flügel der SED. Und er war es auch, der bspw. der ersten echten rot-roten Koalition in Mecklenburg die Wege ebnen half. Und es ist vielleicht kein Zufall, dass Egon Bahr die BStU in Berlin für ein Übel hielt.   

 

Es ist hier nicht der Platz den Ursachen dieses Verhaltens nachzuspüren, obwohl das eine zwangsläufige Frage ist. Ich gehe nicht davon aus, dass die Renaissance des Marxismus in den 60-Jahren bspw. in der Frankfurter Schule mit Horkheimer und Marcuse dafür wesentlich war. Ich glaube auch nicht, dass die 68-Bewegung dafür die Ursache dargestellt hat. Man muß wohl tiefer loten. Denn Bahr hatte mit diesen beiden Phänomenen wahrlich nichts zu tun. Willy Brandt erst recht nicht. Willy Brandt hat eher glaubwürdig eine andere SPD verkörpern können. Er war nicht der Apologet der Reformfähigkeit der SED gewesen. Er war bei den Menschen, und für ihn war das Selbstbestimmungsrecht immer ein zentraler sozialdemokratischer Wert gewesen. Er hatte sich auch keine Illusionen über den politischen Spielraum der innerdeutschen Politik im Kalten Krieg gemacht, und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass er sich im Charakter der SED hat täuschen lassen. Aber die Politik seiner Partei, deren Vorsitzender er ja bis 1987 war, sah anders aus. Und wenn wir heute die SPD in Umfragen bei 20 % dümpeln sehen, dann hat das auch mit dieser Politik zu tun. Doch erklärt es andererseits nicht, warum die anderen Parteien der alten Bundesrepublik, die ja auch ihren Frieden mit der SED gemacht hatte, so ganz anders aus ihrer damaligen Misere herausgekommen sind, als die SPD. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Kupferschmied (Donnerstag, 12 Mai 2016 11:51)

    Letzteres erklärt sich natürlich aus dem Bündniskurs der SPD der letzten 10 Jahre. Unsere Partei ist es, die die gesellschaftspolitische "Normalisierung" im Verhältnis zur SED21 wesentlich verantwortet.

  • #2

    Ernst Eichengrün (Donnerstag, 12 Mai 2016 18:55)

    Die Gründe für den Schwenk der SPD in den 80er Jahren sind vielfältig:
    - Anfangs hatte man sich einen schnelleren Wandel durch Anäherung erhofft.Manche waren von Honeckers Abgrenzungspolitik überrascht. So meinte man, mehr Konzessionen machen zu müssen..
    - Mit der Nachrüstungsdebatte gewann die "Sicherheitspartnerschaft" Vorrang vor der Systemfrage. Nicht das Papier "Streit der Ideologien", das den Aufwind der perestrojka nutzen wollte, war in meinen Augen der Sündenfall, sondern die separaten Sicherheitsverhandlungen.
    - Teile der SPD folgten auch in der deutschen Frage dem fatalen Zeitgeist, der das Streben nach Einheit verlachte, gar als reaktionär-nationalistisch und friedensgefährdend verketzerte.
    - Als schließlich Kohl die Ostpolitik fortsetzte, war diese Politik auf einmal in den Augen mancher Sozialdemokraten zu einer CDU-Politik geworden. Hier setzte ein massives Distanzierungs-Bedürfnis ein.