"Grenzenlos" in Berlin aufgeführt

Förderschulen gehören nicht zu den Lieblingen von SPD und Grünen. Es heißt, sie wirkten ausgrenzend und behindern das Zusammenleben von Förderkindern und sogenannten "normalen" im späteren Leben.

Die integrativen Fähigkeiten einer Förderschule waren jetzt in Berlin zu bewundern. In einem Theaterstück von Antonia Michaelis, das gestern in Berlin im ATZE-Theater zu bewundern war,  ist der Förderschule  "Janusz Korczak" aus Wolgast eine beachtliche Leistung gelungen: einer gegenseitigen Integration von deutschen und ausländischen Kindern in einem gemeinsam gestalteten Bühnenwerk. 

Theater ist für Kinder immer etwas besonderes. Nirgendwo ist der Lernvorgang dermaßen intensiv wie nachhaltig als im darstellenden Spiel. Die jugendlichen Schauspieler verbinden dabei permanent ihre Lebenserfahrungen mit der darzustellenden Rolle auf der Bühne, sie springen gewissermaßen innerlich hin und her. Dabei holen sie nicht nur aus ihrem Erfahrungsschatz die notwendigen Elemente für eine glaubwürdige und authentische schauspielerische Darstellung, sondern reflektieren auch umgekehrt ihr Verhalten in ihrem alltäglichen Leben mit den täglichen Konflikten zwischen den Geschlechter, den Generationen, den Schwachen und Starken, den Benachteiligten und Privilegierten, und - in diesem Fall besonders - den Ausländern und Einheimischen. Letzterer Konflikt steht im Mittelpunkt des Stückes, das als Musical geschrieben wurde und in dem auch ständig gesungen wurde. 

Die Geschichte ist schnell erzählt: Jugendliche und Ausländer bemühen sich bei den mauligen und trägen Beamten um kleinere für sie wichtige Förderungen in einem Leben, das von Mühsal und Arbeitslosigkeit geprägt ist. Sie machen die gleichen niederschmetternden Erfahrungen mit einer seelenlosen Bürokratie. Eine Aufmunterung erfährt ihr Leben durch ein auf das Prekariat abgestimmtes Radioprogramm, das einen Wettbewerb "Gib mir Deinen Song" auslobt, der mit 10000 € dotiert ist. Diese Summe ist verlockend. Der eine will sich damit eine Waschmaschine kaufen, die nächste einen Laden aufmachen eine junge Ausländerin will sich einen Sprachkurs kaufen und ein letzter die Schlepper für seine Schwester die sich noch in Syrien befindet, bezahlen. 

Sie alle verbindet ein gemeinsames Schicksal, aber auch eine heftige Konkurrenz. Letztere führt dazu, dass sie sich gegenseitig auf aggressive Art und Weise behindern. Aber genau daraus lernen sie, sie treten zum Schluß gemeinsam auf. Dadurch kriegt ihr Song etwas einmaliges. Er gewinnt zwar den Wettbewerb nicht, aber - und hier wird "grenzenlos" etwas kitschig und unrealistisch - ein Produzent entdeckt und fördert sie. Sie machen Karriere. Alles wird gut. 

Das Stück, insbesondere die Aufführung hat gewisse Schwächen. Es stellt höchste Ansprüche an Bühnentechnik. Die Szenen sind sehr kurz. Die ständigen Wechsel müßten rasch gespielt werden, das kriegen die Schüler nicht hin. Sie waren befangen, schüchtern geradezu. Aber das war nicht entscheidend. Je länder das Stück dauerte, desto besser waren die Jugendlichen drin, desto überzeugender traten sie auf, und ihnen gelang auch als Laienschauspieler ein für ihr Niveau überzeugendes Theaterstück. 

Die größte Leistung brachten ohnehin die jungen Schauspieler. Die Direktorin der Förderschule, Marina Licht, erzählte mir, dass einige der jungen Darsteller erst durch dieses Theaterstück wieder zur Schule kamen. Man kennt das. Jugendliche haben keinen Bock mehr, sie resignieren, geben auf. Das Stück hat gegenläufiges bewirkt. 

Aber die größte Leistung war das  tatsächlich stattgefundene Zusammenwachsen der Förder- und der ausländischen Schüler. Dies war echt. Hier spielten tatsächlich  Ausländern. Sie besuchen in Wolgast die Berufsschule; kommen aus der Ukraine, Rußland, aber eben auch aus Afghanistan oder Syrien. Ihre Konkurrenz von Deutschen und ausländischen Jugendlichen war urprünglich echt, nicht gegenspielt. Ihre gegenseitige Abneigung entstammte dem realen, wirklichen Leben. 

Das ist Vergangenheit. Sie haben sich kennen und mögen gelernt. Sie haben Vorbehalte und Aggressionen abgebaut. Und das in einer Region, die zu den Stammregionen der Rechtsextremen NPD im vorpommerschen Teil von MeckPom gehört. Das will was heißen. 

Möglich wurde das durch das Engagement vieler. Zum Schluß vor allem wohl auch durch Fördermittel. Denn irgendwie muß das ja alles bezahlt werden. 

Darstellendes Spiel heißt das Fach in der Schule. Da spielen die Schüler ihr Leben, sich selbst. Schade, dass dieses Fach so ein Schattendasein  führt. Wer einmal geschauspielert hat, der weiß, wie beglückend die Erfahrungen damit sind. Es heißt, darstellendes Spiel ersetzt die Couch, die heute auch soviele Erwachsene drücken. Auch für sie wäre etwas Darstellendes Spiel hilfreich. 

Vielleicht ist es kein schlechtes Bild: Wir meistern unsere Integrationsaufgaben, die ja größer denn je geworden sind, durch ihre spielerische Aneignung.