Selbstverliebtheit ist kein Ersatz für Größe

Zum Ende der Amtszeit von Joachim Gauck

Die berechtigte Kritik am wirtschaftlichen Versagen der DDR, ihrer politischen und gesellschaftlichen Apokalypse mündete für manch einen ehemaligen DDR-Bürger in eine Art Weichzeichnen der Zustände in der Bundesrepublik. Der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck ist ein Beispiel dafür. Das ist an seiner kritiklosen Bejahung der sozialen Marktwirtschaft gut zu erkennen.

 

Das Bewusstsein dafür, dass jeder Art von Marktwirtschaft, wie wir sie haben, auch zerstörerische Tendenzen eigen sind, ist Gaucks Stärke nie gewesen. Sein Begriffspaar von Freiheit und Verantwortung ist im Grundsatz von niemanden bestritten worden, gehört aber letztlich in seiner Isoliertheit in den Diskurs des 19. Jahrhunderts. Eine Orientierung für diejenigen, die unter den Schattenseiten von wirtschaftlicher Modernisierung, Internetrevolution und Globalisierung leiden, konnte er unter diesen Bedingungen kaum geben, ja musste der Hinweis auf Freiheit und Verantwortung eher wie ein Hohn wirken. Das ist umso erstaunlicher, als dass gerade in Ostdeutschland, Gaucks Herkunft,  diese Schattenseiten mit der Deindustrialisierung ganzer Landstriche offenbar wurden, obwohl oder vielleicht gerade auch weil das Auseinanderhalten von SED Erbe und schädlicher Treuhandpolitik schwierig ist.

 

Natürlich profitiert Deutschland heute von Internet und Globalisierung. Weil die Welt auf diese Weise aber zusammenrückt, und Reibung entsteht, wo vorher Abstand war, kommt unsere Gesellschaft nicht darum herum, sich selbst zu überprüfen. Der Satz des Vorgängers von Gauck im Amte „Der Islam gehört zu Deutschland“, war vor diesem Hintergrund eine echte Integrationsleistung, und eine Erkenntnis, mit der Gauck sich zu Beginn seiner Amtszeit schwer getan hat. Andererseits hat er, und das ist ihm hoch anzurechnen, demokratische Grundwerte, wie Rechtsstaat und Menschenrechte, zur Grundlage einer gelingenden Globalisierung erklärt, und dafür in der Türkei und in China gestanden. An dieser Haltung hat er auch gegenüber dem Putin‘schen Russland festgehalten, was letztlich zum internationalen Boykott der olympischen Winterspiele in Sotchi geführt hat. Ob er das beabsichtigt hatte, weiß ich nicht. Aber die Konsequenz mit der er auf seinen, unseren demokratischen  Grundwerten bestanden hat, ist richtig, und das hat mich als ehemaligen DDR-Oppositionellen auch richtig stolz gemacht.

 

Der Bundespräsident Gauck hat sich erkennbar in seiner Rolle wohlgefühlt. Er wurde geliebt, und er schien diese Liebe zu brauchen. Er hat gute Reden gehalten und er hat nach Macht gestrebt. Doch gerade für ihn gilt, weil er so viel davon redet, dass Macht immer auch Verantwortung heißt. Und der ist er an einigen Stellen nicht gerecht geworden. Möglicherweise hat ihn sein Bedürfnis nach Macht und Anerkennung in eine Falle geführt.

 

Denn es ist auch Aufgabe jedes Bundespräsidenten, auf politische Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen, die politische Elite aus ihrer Selbstgefälligkeit zu rütteln, und in der Gesellschaft das Gefühl für die selbstkritischen Fähigkeiten dieser Elite wachzuhalten. Dieser Aufgabe ist Gauck viel zu selten gerecht geworden. Dabei hätte ihm gerade die Regierung der Großen Koalition und Kanzlerin im Besonderen viel Anlass dazu gegeben. Tatsächlich ist er hier nur einmal wirklich wahrgenommen worden, als er die Klage von einigen Abgeordneten gegen die Euro-Politik der Bundesregierung deutlich bejaht hat. Tatsächlich aber wäre es wichtig gewesen, den überfallartigen Hauruck-Stil der Kanzlerin, ihre Politik der vollendeten Tatsachen deutlicher unter die Lupe zu nehmen. Denn ihren verschiedenen Volten in der Klimapolitik, beim Atomausstieg, und in ihrer Europapolitik, jenseits jedes demokratischen Entscheidungsprozesses haben ihr in der Gesellschaft zwar lange hohe Beliebtheitswerte eingetragen, gleichwohl politisches Vertrauen zerstört. Zwar hat auch Schröder schon diesen Stil praktiziert, aber die Kanzlerin hat ihn ausgebaut. Zum Schluß ist ihr dieser Stil bei ihrer Flüchtlingspolitik schwer auf die Füße gefallen. Da war sie schon abgehoben, in ihrer eigenen Hybris der Erfolgsseeligkeit gefangen. Einige rechtzeitige kritische Worte hätten sie vielleicht davor bewahrt, wenngleich das schlecht einzuschätzen ist. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit des kritischen Korrektiv des Bundespräsidenten, der an dieser Stelle schlicht nicht vernommen worden ist.

 

Die Entwicklungen die zur AfD und die zu PEGIDA geführt haben, hat Gauck nicht wahrgenommen. Jenseits von industrieller Revolution und Globalisierung liegen ihre Ursachen in einem gesellschaftlichen Bodensatz völkischer Gesinnungen, das in Ostdeutschland leider besonders zu Buche schlägt. Keine Gesellschaft kommt um die Aufarbeitung ihres Versagens herum. In Ostdeutschland haben wir es mit einem doppelten Versagen zu tun. Gauck ist hier nie so beliebt gewesen, wie in Westdeutschland. Das hängt mit seiner Tätigkeit als Bundesbeauftragter zusammen, aber es hängt eben auch mit Ostalgie und den ostdeutschen Schwierigkeiten mit unserer modernen Gesellschaft zusammen, einer Gefühlsschicht, die auf die bei manchen eben noch vorhandenen völkischen Gesinnungen zusätzlich aufbaut. Das macht die gefährliche Grundströmung Ostdeutschlands aus. Darüber wäre eine Debatte zu führen, frei von Tabuisierungen aber klar in den Positionen. Gauck hat sie nicht geführt. Ihm war die Anerkennung seiner intellektuellen und politischen Leistungsfähigkeit im westdeutsch dominierten mainstream lieber, als die Mühen der Ebene seiner ostdeutschen Herkunft. Das hat er mit Angela Merkel übrigens gemeinsam.  

 

Deshalb wird er in die Geschichte eingehen als erster ostdeutsche Bundespräsident, dem die Anerkennung lieber war, als unangenehme Fragen zu stellen. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Oliver H. Schmidt (Freitag, 10 Februar 2017 10:46)

    Das Beste, was ich seit langem zur Amtszeit des Bundespräsidenten gelesen habe...!