Der Weg in die deutsche Einheit - und was daraus wurde

Skizzen eines Vortrages vom Dezember 2013 in der Europäischen Akademie

Einleitung

Bei dem Weg in die deutsche Einheit geht um den Umbruch 1989/90, dem bedeutsamsten Datum in der jüngsten deutschen Geschichte nach dem 8.Mai 45.

Es geht um die Bedeutung der deutschen Nation, ihrem Verlust 1945 und ihrer Wiedererlangung, der Diskussionen um diese Frage, den verschiedenen Konzeptionen um die Zukunft für Deutschland, und es geht um die vielen praktischen Fragen, die mit der Wiedergewinnung unserer Nation verbunden sind. Es geht dabei auch um jene Zukunftsvorstellungen für Deutschland, die mit einer einheitlichen deutschen Nation nicht machbar gewesen wären. Und es geht zum Schluss um die Perspektiven der Nation in einer gemeinsamen europäischen Geschichte, um die Frage wohin sie laufen kann und soll.

Bei der Frage, was aus der Deutschen Einheit wurde, geht es m.E. um den Zustand von Deutschland heute, in politischer, gesellschaftlicher, sozialer, wirtschaftlicher Hinsicht, und zwar sowohl in Ost- wie auch in West.

Kritische und diskursive Thesen:

Vorgeschichte

 

  • ·         Der Weg in die Deutsche Einheit war nicht so selbstverständlich, wie er heute scheint.
  • ·         Am Ende des 2. Weltkriegs und des Holocaust stand 1945 der Verlust der Deutschen Nation.
  • ·         Der Kalte Krieg entzündete sich an der Vorherrschaft über Deutschland, das keine der beiden Großmächte der jeweils anderen Seite überlassen wollte.
  • ·         Der Kalte Krieg ließ die Deutsche Einheit nicht zu. Ihre Voraussetzungen bestanden nicht. Gegen sie standen die kommunistische Herrschaft und die sowjetische Vorherrschaft in der DDR. Eine deutsche Einheit unter diesen Vorzeichen war undenkbar, wäre ein großer Verlust gewesen.
  • ·         Der Ruf nach Wiedervereinigung war in den Jahren nach dem Mauerbau 1961 zunehmend verstummt, schien an den festzementierten und Atom-waffenstrotzenden Gegensätzen entlang des Eisernen Vorhangs, insbesondere in Berlin eine Illusion zu sein. Die vorherige Anerkennung dieser Verhältnisse, das Aufbauen einer Politik auf diese Art der Anerkennung war realistischer, als das Hinwirken auf eine  Wiedervereinigung, von der niemand wusste, ob und wann sie eintreten würde. Manche waren sich sicher über das „Ob“, doch niemand über das „Wann“.
  • ·         Für mich persönlich, der ich, obgleich in demokratischen, und antikommunistischen  Geist aufgewachsen, war die Deutsche Einheit bis hinein in die 2. Hälfte der achtziger Jahre kein Thema. Das änderte sich mit meinen ersten Westreisen ab 86.
  • ·         Die Deutsche Einheit war 1989 eher eine Neuentdeckung als der Rückgriff auf eine nach wie vor vorhandene alte Idee.

 

Veränderungen vor 1989

 

  • ·         Die schmale Schicht der Oppositionellen in der DDR wollte die politischen Verhältnisse in Ostdeutschland ändern durch Gewährleistung der Menschenrechte  und damit lebenswert machen. Sie unterschieden sich von der Mehrheit der Bevölkerung dadurch, dass sie die Verhältnisse nicht einfach hinnahmen, oder „abhauen“ wollten, sondern verändern. Ihnen ist der Ausbruch der friedlichen Revolution zu verdanken, doch ihre politischen Zukunftsvorstellungen divergierten sehr.
  • ·         Gorbatschow wollte den Kommunismus zukunftsfähig machen, seine wirtschaftliche, soziale, politische Krise überwinden. In der Folge seiner Politik öffnete sich das erste Mal ein Fenster für echte Veränderungen auch in der DDR. Durch Gorbatschows Wirken gab es für die Deutschen die Gelegenheit eigene Zukunftsvorstellungen für ihr Land zu entwickeln.
  • ·         Mitten im Volksaufstand in der DDR 1989 und durch ihn verursacht fiel die Mauer am 9. November 89. Damit stand die Deutsche Einheit auf der Tagesordnung.

 

Bedeutung der Deutschen Einheit

 

  • ·         Die Wiederherstellung der Deutschen Nation knüpfte an die lange seit dem Mittelalter bestehende Geschichte eines deutschen Staates an. Sie knüpfte auch an die demokratischen Entwicklungen an, die mit der Herausbildung des Deutschen Nationalstaates im 19. Jahrhundert verbunden waren.
  • ·         Die Wiederherstellung der Deutschen Nation war auch die Antwort auf den gemeinsam, durch alle Deutschen zu verantwortenden Verlust der deutschen Nation 1945. Sie war die endgültige Überwindung der Folgen des Nazireiches, soweit das den Deutschen möglich war. Und sie war die Wiederaufnahme der Deutschen in den Kreis der europäischen Nationen, als gleiche unter gleichen, im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses.

DDR-Opposition

  • ·         Die Sozialdemokraten in der DDR wollten einen demokratischen Rechtsstaat. Sie wollten Kommunismus und Herrschaft der SED überwinden. Diese beiden Ziele rangierten vor der Deutschen Einheit. Der Sozialdemokratie in der DDR ging es um die Erneuerung der Gesellschaft, die undenkbar war bei Beibehaltung der Herrschaft der alten politischen Eliten.
  • ·         Ein großer Teil der Opposition in der DDR hatte illusionäre, und verklärt romantische sozialistische Zukunftsvorstellungen. Diese hätten die Wiederherstellung der Deutschen Einheit behindert die deutsche Teilung verlängert und das Weiterregieren der alten Eliten begünstigt.
  • ·         Nach dem Machtverlust der SED setzte die Nomenklatura auf die Blockparteistrukturen.

 

Westdeutschland

 

  • ·         Für Helmut Kohl war der Machterhalt prioritär. Deshalb nahm er das Angebot der Ost-CDU an. Er setzte voll auf die Deutsche Einheit, weil ihm der Elitenwechsel und die Erneuerung der Gesellschaft unwichtig waren.
  • ·         Der Wahlsieg der CDU 1990 spiegelte in Ostdeutschland allerdings auch die Sehnsucht nach autoritären in der Politik und die Abwendung von Selbstverantwortung und eigener Erneuerung.
  • ·         Lafontaine wollte die Deutsche Einheit nicht. Er suchte damals nach einem Thema, mit dem er sich von Kohl absetzen konnte. Deshalb stellte er Sinn, Nutzen und Bedeutung der Deutschen Einheit in Frage. Er konnte sich gegen die innerdeutsche Solidarität nicht durchsetzen. Er belastete mit diesem Kurs seine eigene Partei, die mehrheitlich, insbesondere in Ostdeutschland die Deutsche Einheit befürwortete.
  • ·         Seine These der Überwindung des Nationalstaates griff der Entwicklung vor, und behinderte sie auf diese Weise. Nach Lafontaines Ansicht würde die Bundesrepublik dabei eine Vorreiterrolle spielen würde. Lafontaine ignorierte die gemeinsame Verantwortung der Deutschen für den Verlust der Deutschen Einheit 1945 und er hätte die Ostdeutschen ihren aus der Teilung erfolgenden Entwicklungsnachteilen und schwerem Schicksal überlassen.

 

Europa

 

  • ·         Die These der Überwindung des Nationalstaates liegt allerdings in der Tendenz der europäischen Integration, in welchem die Nationen Zug um Zug Kompetenzen an Europa abgeben.
  • ·         Dafür gibt es viele Argumente: es war der Nationalismus der Nationalstaaten der in den 1.Weltkrieg führte. Es war die Ausgrenzung Deutschlands, die Hitlers Machtergreifung begünstigte. Und durch die europäische Zusammenarbeit konnten Strukturen entwickelt werden, die staatliche Konflikte friedlich lösen. Dieser Weg der EU wird weitergegangen werden. Er muss durch die weitere Demokratisierung der europäischen Strukturen begleitet werden. Das Konzept der Europa der Vaterländer behindert diese Entwicklung, weil es das Fortbestehen der alten Nationen suggeriert, die in diesem Sinne schon gar nicht mehr bestehen.

 

Praktische Vorteile der Deutschen  Einheit

 

  • ·         Für die Deutsche Einheit sprachen aber auch eine Vielzahl an praktischen Vorteilen für Ostdeutschland: die Zementierung der Abkehr vom Kommunismus und der Befreiung von russischer Fremdherrschaft, das Anknüpfen an den westdeutschen Lebensstandard, das Produktions- und Produktivitätsniveau, die Übernahme des westlichen sozialen Netzes, der ökologischen und Umwelt-Standards, des Länderfinanzausgleichs, des beschleunigten Aufbaus einer rechtsstaatlichen Justiz, der Aufbau der Infrastruktur etc.
  • ·         Die Wiederherstellung der Deutschen Einheit bedeutete auch die Besiegelung der Abkehr der Deutschen von totalitären Politikmodellen, und die Durchsetzung eines demokratischen Rechtsstaates.
  • ·         Diese Standards sind für die Menschen in Ostdeutschland zu einer Selbstverständlichkeit geworden.
  • ·         Mit der Deutschen Einheit verbunden und für uns von unschätzbaren Vorteil sind das Ende des Kalten Krieges, die Einbindung Deutschlands in die EU und die NATO, und die friedliche Nachbarschaft zu all unseren Anrainerstaaten, einzigartig in unserer Geschichte.
  • ·         Darüber hinaus gibt es innere Highlights. Dazu zählt die wunderbare Metropole Berlin, die Erneuerung der Infrastruktur in Ostdeutschland, das hervorragend ausgebaute Straßennetz, die Heilung der Natur (bis auf ein paar Restgrößen),
  • ·         Niemand stellt die Deutsche Einheit in Frage.

 

Schattenseiten

 

  • ·         Hingegen wird der demokratische Rechtsstaat durchaus in Zweifel gezogen. Seine Zustimmungswerte sind in Ostdeutschland gering. Die Bereitschaft zur demokratischen Mitverantwortung ist unterentwickelt. Dies ist eine Folge der Überblendung der Notwendigkeit der Demokratisierung und Erneuerung der Gesellschaft durch das Thema der Deutschen Einheit im Jahre 1989/90. Wichtige Debatten werden unterdrückt, Entwicklungsperspektiven werden nicht wahrgenommen. Es gibt nur eine schmale Schicht von politischer Elite und kaum Erneuerungspotential. Die Entwicklungspotentiale der ostdeutschen Gesellschaft sind unterentwickelt. 
  • ·         Die Wirtschaft Ostdeutschlands ist durch eine äußerst schmerzhafte Phase der Deindustrialisierung gegangen, deren Spuren, und noch mehr deren Folgen noch lange sichtbar sein werden. Politisch verdanken wir ihr das Überleben der alten SED in Form der PDS heute der Linkspartei.
  • ·         Die Arbeitslosigkeit hier ist höher, die Einkommen sind niedriger als in Westdeutschland.
  • ·         Noch immer spürt man am Exodus der Jugend in den Westen in vielen Teilen Ostdeutschlands, besonders in den sogenannten strukturschwachen, den kalten Hauch der DDR.
  • ·         Doch inzwischen sind auch neue Eliten aus der ostdeutschen Bevölkerung herangewachsen, die zu einer Erneuerung aus eigener Kraft beitragen können. Das Thema westdeutscher Fremdbestimmung wird damit beendet sein.
  • ·         Die Stärke der NPD ist in Ostdeutschland eine schwere Herausforderung.
  • ·         Der demographische Wandel ist  in Ostdeutschland härter zu spüren.
  • ·         Beobachter sprechen davon, dass unter der Jugend kein Unterschied nach ost- resp. westdeutscher Herkunft mehr gemacht wird.
  • ·         Ostdeutschland braucht einen Demokratisierungsschub.
  • ·         Für Westdeutschland ist Ostdeutschland schon lange kein Thema mehr. Fehlentwicklungen hier bringen die Bundesrepublik nicht aus dem Gleichgewicht. Das hinzugewonnene Gewicht der Bundesrepublik vermag die Kanzlerin nicht immer zum Segen unserer Nachbarländer in Europa gut zur Geltung zu bringen.

Fazit

 

Die Deutsche Einheit ist eine fantastische Errungenschaft, für die wir dankbar sein können. Sie ist nicht vom Himmel gefallen. Auf ihrem Boden lassen sich für uns Deutsche die weitere europäische Integration und die anstehende weitere Erneuerung und Demokratisierung in unserem eigenen Land, sowie viele, viele praktische politische Herausforderungen weit besser bewältigen, als es je unter den anhaltenden Bedingungen der Teilung möglich gewesen wäre.