Festvortrag zum 70. Jahrestag der Zwangsvereinigung

 

Rostock Bundeskongress der Landesbeauftragten, Freitag, 22.4.16

 

 

Festvortrag zum 70. Jahrestag der Zwangs
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Die Zwangsvereinigung – das Prag 68 der DDR

 

Das, wovon ich Ihnen hier erzählen will, ist zuerst die Geschichte einer Annäherung.

Es wird sie vielleicht wundern, aber als ich den Begriff und von dem Vorgang der „Zwangsvereinigung“ das erste Mal hörte, ging keine Bedrohung von ihm aus, sondern er war eher mit einer gewissen Erleichterung verbunden. Er hatte etwas Klärendes, Aufklärendes an sich. Ich will versuchen zu erklären, warum.

 

Ich stehe ja hier nicht als Historiker, sondern eher als Zeitzeuge und Sozialdemokrat vor Ihnen, dessen Erleben auf verschiedenste Weise mit dieser Zwangsvereinigung verbunden ist. Die ich nicht persönlich erlebt habe. Gott sei Dank. Ich bin Jahrgang 56. Das bedeutet Abstand, Abstand durch Unwissen.

 

Das Land, in dem ich groß wurde, die DDR nannte sich demokratisch, doch es war alles andere als eine Gesellschaft freier Menschen, was der Begriff Demokratie doch an und für sich suggeriert. Solche Widersprüche gab es viel in diesem Land DDR. Ich gehe davon aus, dass viele von Ihnen, die hier vor mir sitzen, lange Geschichten davon erzählen könnten, denn diese DDR war auch Ihr Land, so wie es meines war.

Doch es war kein Land, in dem man sich wohlfühlen konnte. Es war beherrscht von einer gespaltenen Wirklichkeit, denn mit dem eigenen authentischen Erleben und Fühlen fand man sich in keiner der gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen wieder, nicht in einer der Parteien oder Massenorganisationen, nicht in den Zeitungen, nicht in der Schule, oder der Uni, nicht in den Betrieben, oder den Sportvereinen, nirgendwo. Nicht mal in der Kirche, obgleich ungleich freier und lebensnäher als sonst eine der DDR-eigenen Institutionen, konnte man wirklich sagen, was man erlebte, denn auch hier herrschte Angst.

 

Von der DDR ging Druck aus, alltäglicher Druck. Aber in der Propaganda der SED war es das herrlichste, das schönste, das beste Land, das es je auf deutschen Boden gegeben hatte. 

 

Ein Teil des Druckes war das Ergebnis dieser gespaltenen Wirklichkeit, aber der größere Druck ging von den alltäglichen Repressionen aus, mit denen die SED sich in der DDR ihre Herrschaft zu sichern wusste. Ich könnte sie jetzt hier alle aufführen, diese Nötigungen der DDR, die einen zwangen, zu tun, was man sich unter freien Bedingungen tausendmal überlegt hätte, aber was unter den Bedingungen der SED-Diktatur als vernünftig erschien. Vernunft, dieses herrliche Wort der Aufklärung, hier bezeichnete es den Weg des geringste hinzunehmenden persönlichen Schadens.

Ich spüre die Verlockung all diese Facetten der alltäglichen Repression in der DDR zu schildern, damit ich mich verständlich mache, was ihre gesellschaftliche Wirklichkeit ausmachte, die heute 27 Jahre nach dem Untergang der DDR so fern liegt, dass man manchmal Mühe hat, sich ihrer zu erinnern, und die ja doch unser Leben ausgemacht hat. Doch das sprengt den Rahmen.

 

Wichtig ist mir eines, dass man nachvollziehen kann, dass einem unter diesen Bedingungen manchmal ein Buch, ein Artikel oder eine Erzählung über die Hintergründe dieser DDR, über ihr Wesen, Balsam für die Seele war.

Manchmal war es auch ein Begriff. Und so war das auch mit dem Begriff der Zwangsvereinigung. Er erklärte etwas von dem Charakter der Macht, der man gegenüberstand. Und damit schwächte er sie. Viel schlimmer wäre es gewesen, wenn die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien SPD und KPD zur SED tatsächlich freiwillig erfolgt wäre.

 

Ich weiß nicht genau, wann ich den Begriff der Zwangsvereinigung das erste Mal hörte. Es muss zu Hause gewesen sein, am Mittagstisch im Gespräch mit meinem Vater. In der Schule bestimmt nicht. Nicht mal im Westfernsehen war zu meiner Zeit viel davon die Rede. Niemand anderes in meinem persönlichen Umkreis war in der Lage so herrlich offen über die Politik, Geschichte und dergleichen zu reden, wie mein Vater.

 

Und es leuchtete auch ein. Denn dass die DDR ein Vasallenstaat der Sowjetunion war, wusste man ja. Und dass die SED bei freien und geheimen Wahlen keine Chance haben würde, musste gar nicht erst diskutiert werden. Es hatte ja mal freie Wahlen gegeben kurz nach Kriegsende, mit desaströsen Ergebnis für die Kommunisten. In der Sozialdemokratischen Partei war der Kommunistischen, die die Machtverhältnisse in der SBZ nach den Vorstellungen Stalins gestalten sollte, ein ernstzunehmender Konkurrent entstanden, der ausgeschaltet werden musste.  Kurz, auch die Gründung der SED basierte auf einer Lüge, wie so vieles in der DDR.

 

Das machte den aufklärerischen Charakter des Begriffes der Zwangsvereinigung aus, er half die DDR zu verstehen, und damit leichter zu nehmen. Zu allen Zeiten hatten wir unter der SED zu leiden, und das war schon so, bevor sie überhaupt entstand.

 

Das zweite ist eine örtliche Annäherung.

 

Ich bin ja Berliner, aufgewachsen im Herzen dieser Stadt, in seinem Ostteil, der das ehemalige Zentrum dieser Stadt, obgleich niedergebombt, plattgewalzt und zubetoniert, enthielt. ZU DDR-Zeiten konnte dieses ehemalige Zentrum gelegentlich gespenstige Züge annehmen, weil sie so leer war. Hier waren die Bürgersteige schon am frühen Nachmittag hochgeklappt. Von drei Seiten umfasste die Mauer die alte City und unter ihr fuhren die S-Bahnen von West nach West mit einem Halt im Osten, der für normale DDR-Bürger unerreichbar war.

 

Als Kind nimmt man daran keinen Anstoß. Für ein Kind ist alles normal und selbstverständlich. Es bedarf bestimmter Anstöße, um hinter den Gebäuden und Straßen der eigenen Umgebung die Geschichte wahrzunehmen, die sie verkörpern. Gebäude tragen ihre Geschichte nicht vor sich her, wie eine Monstranz. Normalerweise schweigen sie. Aber wenn man sich ihrer Geschichte annähert, dann kann man in ihnen lesen wie in einem Buch.

 

Das geschah mir mit dem Admiralspalast.

 

Der sah zu DDR-Zeiten, und das hatte er mit den meisten anderen Gebäuden zu DDR-Zeiten gemeinsam, etwas lädiert aus, die Fassade ramponiert, löchrig noch immer von den Granatsplittern der letzten Kämpfe im Schlussakt des zweiten Weltkrieges. Das Haus war grau, und wirkte wie aus einer anderen Zeit. Ich musste häufig daran vorbeigehen, wenn ich zur S-Bahn wollte, die hier seit den Tagen des Mauerbaus ihre Endstation hatte. Bahnhof Friedrichstr…….

 

Im Admiralspalast befand und befindet sich ein Theater, in dem vorzugsweise Operetten gespielt wurden und Sinfoniekonzerte gegeben. Letztere besuchte ich nicht selten.

Hier in diesem Theater fand die Schlussszene, der Abschluss und Höhepunkt der Zwangsvereinigung statt, der berühmte Händedruck von Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck.

 

Das begann ich mir vorzustellen, da vorne, wo jetzt das Orchester irgendeine Sinfonie von Schumann oder Brahms spielte, und damit das Publikum verzückte, das sich in einer Art musikalischen Trance-Zustand befand. Ich aber sah plötzlich diese Szene vor mir, diesen Händedruck und das applaudierende Publikum, den Vereinigungsparteitag von KPD und SPD, eine Versammlung unfreier Menschen. Und es herrschte plötzlich eine andere Stimmung um mich herum. Aus einer Sage, einer Legende wurde Realität.

Und ich wurde zum Zeugen.

 

Ich begann mich zu fragen, wie sich Grotewohl wohl gefühlt haben mag, als er Pieck die Hand reichte. Grotewohl war ja nicht irgendjemand, er war Chef der 1945 wieder gegründeten SPD. Er hatte sie wieder aufgebaut aus den Resten der nationalsozialistischen Unterdrückung. Grotewohl war selber NS-Verfolgter. Er war Reichstagsabgeordneter für die SPD gewesen und hatte in der Kroll Oper gegen die Ermächtigungsgesetze gestimmt. Er wusste, was Demokratie bedeutet und was Freiheit. Und die verkörperte er und seine Partei. Diese hatte Zulauf bekommen, es waren keineswegs nur ehemalige Sozialdemokraten, die sich zu ihrer alten neuen Partei hingezogen fühlten. Es müssen auch neue Leute hinzugestoßen sein. Und nicht wenige taten es auch deshalb, weil sie sich von den Terror-Methoden der SBZ abgestoßen fühlten und die Hoffnung hatten, die SPD könnte sie und ihre Freiheit schützen. Anders lassen sich ja die starken Zuwächse, die die SPD damals vor der erzwungenen Vereinigung erfuhr, gar nicht erklären.

 

Grotewohl sieht sehr ernst aus, auf diesem Foto, das jeder von der Zwangsvereinigung kennt. Was er gedacht hat, das wissen wir nicht. Ein Selbstzeugnis hat er nicht hinterlassen. Er hat seinen Weg gemacht in der späteren DDR, und wurde sosehr mit dem repressiven Pankower Regime identifiziert, dass die politischen Häftlinge den Sonderzug, mit dem sie von einem Knast zum anderen transportiert wurden, Grotewohl-Express nannten. Aber das war ja nicht immer so. Grotewohl war ein Opportunist, sicher, aber wie viele waren es denn nicht? Die SPD in der SBZ hätte sicher einen anderen Kerl an ihrer Spitze gebraucht damals, aber auch der hätte die Zwangsvereinigung wahrscheinlich nicht verhindern können.

 

Ich weiß nicht, wie jenen Sozialdemokraten, die damals für die Vereinigung stimmten zu Mute war. Aber da ich in der DDR aufgewachsen bin, und die Stimmung der Leute kannte, vermute ich, dass sie sich verlassen fühlten, und dass sie das Gefühl hatten, keinerlei Alternative zu besitzen. So beschönigten sie ihre Lage. Das ist den Menschen in der Regel eigen, wenn sie in die Enge getrieben werden. Und dabei bleiben manche selbst dann, wenn die Repression schon lange ein Ende gefunden hat.

 

Grotewohl hatte einst eine Vereinigung der beiden Arbeiterparten KPD und SPD selber ins Gespräch gebracht. Aufgenommen wurde dieses Thema von den Kommunisten aber erst, als die Stärke der Sozialdemokratie den Aufbau sowjetkommunistischer Machtverhältnisse, wie sie Stalin in allen seinen Satellitenstaaten vorschwebte, ernsthaft zu gefährden drohten.

 

Grotewohl war für mich immer die interessantere der Personen auf diesem legendären Foto von der Zwangsvereinigung. Die beiden Kommunisten, die auch auf dem Bild zu sehen sind, Pieck und Ulbricht, konnten sich treu bleiben. Ihre Strategie ging auf. Doch Grotewohl war ein Gescheiterter. Zwar erhielt er seinen Judaslohn, glücklich aber kann er nicht gewesen sein. Glücklich sieht anders aus. Wenn man weiß, dass Grotewohl als Kovorsitzender der SED bei Pieck am Katzentisch gesessen hat, kann man sich die Demütigung vorstellen, die die Kommunisten ihm haben angedeihen lassen.

 

Übrigens sieht auch Ulbricht ernst aus auf diesem Foto. Er hätte allen Grund zum Jubeln gehabt. Denn er war der eigentliche Regisseur, der Macher dieser Art der Vereinigung, und er war der Profiteur, der Machthaber, der Staatsmann, der sich mit der DDR seinen eigenen Staat schuf. Wenn er ernst aussieht, dann sicher nicht, weil er frustriert war, sondern eher, dass er die nächsten großen Aufgaben bereits in den Blick genommen hatte. Und vielleicht hat er die alte Politikerregel zu beherzigen gewusst, nämlich dass man Erfolge kalt genießen können muss. Einen Triumph darf man nicht zeigen. Verstellung ist angesagt.

 

Die DDR war immer stolz auf diese Vereinigung, die SED rühmte sich dieser Tat, in der Schule hörten wir frühzeitig davon. Es hieß, damit seien die Lehren aus der Machtergreifung Hitlers gezogen worden. Ohne die Spaltung der Arbeiterbewegung hätte der gar nicht an die Macht kommen können. Durch die Überwindung der Spaltung sei nun eine erneute Kriegsgefahr quasi auf ewig verdammt. Wie viele Leute das geglaubt haben, weiß ich nicht. Es war Geschichtsideologie, ein Mythos. Es war Propaganda, die eine Vernichtung, eine feindliche Übernahme nur kaschierte und mit einem positiven Überbau zu versehen versuchte. Nicht wenige Historiker gingen dieser Metaphysik auf den Leim. Die friedliche Revolution fegte sie auf den Müllplatz der europäischen Ideengeschichte. Ihre Kraft hat sie nur unter den Bedingungen einer Diktatur erhalten können, unter den Bedingungen von Freiheit erwies sie sich als ein fein gesponnenes Spinnennetz.

 

Wie gesagt, seit ich das alles wusste, sah der Admiralspalast anders aus. Noch heute kann ich nicht an ihm vorbeigehen, ohne dass mir die Assoziationen an diesen feierlich, verlogenen irreführenden Händedruck hochkommen, der zum Symbol einer verbrecherischen politischen Strategie der Kommunisten wurde, an dem sie bis zum Ende der DDR festhielten. Einige wenige wohl auch darüber hinaus. Und ich denke an die verlorenen Hoffnungen, an das Unglück, in das dieser Tag jene stürzte, die sich von den Werten ihrer sozialdemokratischen Traditionen, ihrer Sehnsucht nach Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie nicht lösen wollten, und die bitter dafür bezahlten. Letztlich hat die Zwangsvereinigung alle Hoffnungen auf Demokratie in der DDR zerstört. Und deshalb kann man sagen: Die Zwangsvereinigung war das Prag 68 der damals noch nicht einmal gegründeten DDR.

 

Weitere Annäherungen hatte ich eigentlich nicht nötig. Meine Beteiligung an der Gründung der sozialdemokratischen Partei in der DDR erfolgte nicht im Rückblick auf die Zwangsvereinigung, sondern im Blick auf die Überwindung der SED-Diktatur. Eine ideologische Linie verfolgte ich nicht, und ich sah auch keine. Trotzdem verließ mich das Thema Zwangsvereinigung nicht. Und ich war nicht frei davon, es zu instrumentalisieren.

In den Debatten meiner Bundestagsfraktion wurde immer wieder, manchmal heftig, manchmal leidenschaftlich über Ostdeutschland debattiert. Die 90-ger Jahre waren die große Zeit der Einigungspolitik, nicht nur in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch im Blick auf die ostdeutsche Parteienlandschaft. Schließlich hing die Machtperspektive nicht nur meiner sondern aller im Bundestag vertretenen Parteien davon ab. Wer Sachpolitik machen will, darf vor Machtpolitik nicht zurückschrecken. Dabei geht es nicht um einen Wettstreit, wer besonders primitiv oder skrupellos ist, sondern wer klug eine Perspektive für das Schaffen breiter Mehrheiten zu verfolgen in der Lage ist.

 

Meine Partei war und ist uneinig in der Frage, wie mit der Hinterlassenschaft der ehemaligen SED ihren ehemaligen Mitgliedern, Mitläufern oder gar überzeugten Kommunisten umzugehen sei. Nicht wenige glaubten sie durch eine gezielte Umarmungsstrategie einbinden zu können. Das war naiv. In meinen Augen setzte diese Strategie in der Konsequenz die Eigenständigkeit der Ost-SPD in Frage, was zum Schluss zu einer Auslöschung der ohnehin schwachen Sozialdemokratie im Osten führen könnte. Und deshalb erinnerte ich in einer emotional aufgeladenen Diskussion an die Zwangsvereinigung, in der schon einmal die SPD in diesem Teil Deutschlands vernichtet wurde.

 

Ich zog mir den Zorn nicht weniger Kollegen mit diesem Vergleich zu. Immerhin entstand daraus eine würdige Gedenkveranstaltung der Bundes-SPD mit ihrem Spitzenpersonal zum 50. Jahrestag übrigens auch im Ostberliner Admiralspalast, dem unsereins nicht ohne innere Genugtuung beigewohnt hat.

 

Heute 20 Jahre später gibt es eine solche zentrale Veranstaltung nicht mehr. Übrigens zolle ich schon deshalb den Veranstaltern ihres Kongresses meine Hochachtung für die Wahl dieses Themas.

 

Hier geht es nicht um die Bedeutung der Zwangsvereinigung für die SPD sondern um ihre Folgen für Deutschland.

 

Der zweite Weltkrieg endete in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Stalin hielt den verbliebenen ostdeutschen Teil mit Berlin als Hauptstadt besetzt. Im Gegensatz zu den westlichen Besatzungsmächten hatte er nicht vor, hier Selbstbestimmungsstrukturen zuzulassen, sondern trachtete von Anfang danach, den durch die Rote Armee besetzten Gebieten sein sowjetisches System aufzuzwingen.

Das traf auf den erbitterten Protest der Westalliierten, aber nicht auf eine reale Möglichkeit, Stalin daran zu hindern. Im Gegenteil. Das erste Land, dem Stalin sein System aufzwang war Rumänien. Damals noch mit dem Einverständnis von Churchill, der vorher einen Deal mit Stalin ausgehandelt hatte. Die britische Armee würde Griechenland befreien, und die Rote Armee Rumänien und niemand würde dem anderen in die Quere kommen. Damals 1944, also noch mitten im Krieg hielten sich beide Mächte an diese Abmachung.

 

Anders war es dann schon in Polen. Die Britten waren die Schutzmacht dieses Landes. Es muss sie bitter geschmerzt haben, als sie erstens sahen, dass Stalin den Polnischen Warschauer Aufstand ausbluten ließ, und dass er anschließend eine Stalin-treue Regierung dort installieren ließ. Die polnische Exilregierung in London konnte nur noch zusehen. Stalin hatte vollendete Tatsachen geschaffen.

 

Die westlichen Alliierten, obgleich sie in Jalta gemeinsam mit Stalin die Nachkriegsordnung bereits festgezurrt hatten, wollten sich mit dieser Installierung des sowjetkommunistischen Machtsystems in Osteuropa  nicht abfinden. Es gelang ihnen auf der Potsdamer Konferenz 1945 Stalin Zugeständnisse abzutrotzen, wonach er freien Wahlen in den sowjetisch besetzten Ländern zustimmte. Das war der Hintergrund für den Auftrag an die Gruppe Ulbricht, zuerst in der sowjetisch besetzten Zone eine demokratische Entwicklung einzuleiten, aber so, dass sie die politische Entwicklung steuern konnte. Legendär der von Leonhardt überlieferte Spruch von Ulbricht: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten.“ Übrigens auch so ein Begriff, der half, die DDR zu verstehen.

 

Die sowjetische Besatzungsmacht genehmigte im Juni 45 sukzessive die Wiedergründung von Parteien, angefangen mit der kommunistischen, der die sozialdemokratische Partei und dann auch die Gründung der CDU folgte.

Trotz organisatorischer Benachteiligung wuchs die sozialdemokratische Partei in der SBZ aber schneller als die KPD. Im November 1945 verloren die Kommunisten die ersten freien Wahlen in den beiden auch sowjetischen besetzten Ländern Ungarn und Österreich. Dort wurden die Kommunisten sogar regelrecht marginalisiert. Damit war die Strategie der Machtergreifung unter demokratischen Vorzeichen gescheitert. Unmittelbar danach änderte Stalin sie. Standen die Kommunisten anfangs der Idee einer einheitlichen Arbeiterpartei noch skeptisch gegenüber, weil sie wohl hofften, auch so stärkste politische Kraft zu werden, begannen sie sie nun zu verfolgen. Bereits in diesem Monat wurde im ZK der KPD das Konzept der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands SED diskutiert. Auf diese Weise konnten sie den gefährlichen Konkurrenten SPD los werden.

 

An der Legende einer einvernehmlichen Unterwerfung der SPD ist nur so viel dran, als dass die Idee zu einer einheitlichen Arbeiterpartei durchaus von der SPD ausging, was nebenbei zeigt, dass sie einem Mythos anhing, zumindest so lange, bis sie gewahr wurde, dass die Kommunisten sich nicht an die gemeinsam getroffenen Abmachungen hielten. „Bei der Besetzung von Verwaltungsstellen wurden Sozialdemokraten vielfach ausgeschaltet, und im Herbst 45 häuften sich bereits die Verhaftungen solcher SPD-Funktionäre, die sich durch Eigenständigkeit oder Treue zu sozialdemokratischen Zielsetzungen auszeichneten,“ schreibt Leonhardt und schätzte, dass im April 45 vielleicht noch 10 bis 15 % der Sozialdemokraten an einer Parteienvereinigung festhielten. Das bestätigt auch das Ergebnis der Urabstimmung der Westberliner SPD.

Mit Hilfe von Bespitzelungen und Diffamierungen, Drohungen, falschen Versprechungen, Bruch von Vereinbarungen, Unterwanderung und dem Verbot der Berliner Urabstimmung setzten die Kommunisten in der SPD der SBZ die Zustimmung zur Vereinigung durch.

 

Man muss sich vor Augen halten, dass Stalin sein gesamtes politisches Instrumentarium seines Terrorstaates gegen die eigene Bevölkerung in die SBZ übertragen hatte. Das war die Zeit der Internierungslager, der Deportationen, der Massenverhaftungen und der Massengräber. Stalin verlangte die totale Unterwerfung bis in das Denken und Fühlen hinein. Individualität hatte hier keinen Platz mehr. Und Ulbricht war sein treuer Paladin. Von ihm erzählte man sich, dass er in einer Diskussion nicht locker ließ, bis die Leute ihm glaubten, dass der viereckige Tisch um den sie saßen, in Wirklichkeit ein runder sei. Solche Verhältnisse sind mit Demokratie und Freiheit unvereinbar. Das alles stand damals und steht heute für die Geschichte des Kommunismus. Die Parallelen zum Nationalsozialismus liegen auf der Hand. Schumacher hatte völlig Recht mit seiner Metapher, dass die Kommunisten rotlackierte Faschisten seien. Diese Einschätzung stützte sich ja nicht nur auf die Nachkriegszeit, sondern auch auf die letzten Jahre der Weimarer Republik, die von Nationalsozialisten und Kommunisten gemeinsam zu Grabe getragen wurde.

 

Es war klar, dass Stalin nicht bereit war, seinen Herrschaftsanspruch irgendwelchen demokratischen Gepflogenheiten zu opfern. Dieser Vorgang der Zwangsvereinigung war eine krasse Verletzung jeder Form von Selbstbestimmung und dem Prinzip einer rechtsstaatlichen Demokratie. Stalin verließ damit die Mindestanforderungen für eine gemeinsame politische Entwicklung Nachkriegsdeutschlands. Sollte es noch den letzten Rest eines gemeinsamen Tischtuches zwischen den vier Siegermächten gegeben haben, nun war es zerschnitten. Die Wiederherstellung der deutschen Nation als eigener Staat war damit unmöglich geworden. Die Gegensätze zwischen den vier Siegermächten waren voll aufgebrochen, die weitere diametral unterschiedliche Entwicklung beider Teile Deutschlands die Folge.

 

Die Vernichtung der ostdeutschen Sozialdemokratie markiert den Beginn der Deutschen Teilung. Mit dem Aufkündigen gemeinsam zu verantwortender Mindeststandards für die politische Entwicklung Nachkriegsdeutschlands gibt es keine gemeinsamen Interessen zwischen den ehemaligen Siegermächten mehr. Der Kalte Krieg, der sich bereits vielfach angedeutet hatte bricht jetzt voll aus. Stalin hatte sich entschieden aufs Ganze zu gehen. Er nimmt keine Rücksicht mehr. Er setzt seine Machtinteressen kompromisslos durch. Und niemand kann ihn daran hindern.

 

Das nächste was folgte, sollte die Berlin-Blockade sein. Sie macht im Übrigen deutlich, dass sich Stalin Chancen ausrechnete, das freie Westberlin zu schleifen. Dann hätte er ein einheitliches Staatsgebiet ohne diesen Giftpfeil Westberlin, was für ihn mit Sicherheit leichter zu beherrschen gewesen wäre, als ein Berlin, in deren Westteil die Westalliierten auf ihrer Dauerpräsenz beharrten. Das war Stalins Plan. Und sein erster Akt dazu die Ausschaltung der SPD.

 

Man kann also sagen, dass die Vernichtung der ostdeutschen Sozialdemokratie die Voraussetzung für die Errichtung einer Diktatur sowjetischer Bauart in Ostdeutschland und der damit einhergehenden Deutschen Teilung bis hin zum vollständigen Ausbruch des Kalten Krieges war.

 

Das ist die historische Bedeutung der Zwangsvereinigung.

 

Es sollte der Tag kommen, da aus dieser Bedeutung der Zwangsvereinigung der Fahrplan zur Überwindung der Diktatur und der deutschen Teilung erwuchs.

Vorerst aber ist festzuhalten, dass es mit ihr nicht um Ideologie ging, sondern um imperiale, sowjetische, russische Machtpolitik. Keinem Zar war es vor Stalin gelungen, den Machtbereich des russischen Reiches soweit nach Westen auszudehnen, wie Stalin. Deshalb verehren sie ihn in Russland auch so.

 

Stellt man sich die Frage, was die ostdeutsche SPD denn hätte machen sollen, als die Kommunisten den Beschluss zur Zwangsvereinigung fassten, wird man etwas ratlos. Der damalige Vorsitzende der westdeutschen SPD Kurt Schumacher hat ihnen empfohlen sich selbst aufzulösen; ein wohlfeiler, gleichwohl unerfüllbarer Rat. Immerhin hat Schumacher die kommunistischen Pläne mit der SPD durchschaut, und er hat Stalin eine Strategie unterstellt, die er bei den Westmächten vermisste. Er machte ihnen Vorwürfe. Er fühlte sich erkennbar im Stich gelassen. Aber was hätten die Westmächte tun sollen? Mir stellt sich bei diesen Vorwürfen die Frage, ob sie nicht den Beginn der Legende von den verpassten Gelegenheiten über die Wiederherstellung der Einheit der Nation markiert.

 

Doch die Anwesenheit der sowjetischen Truppen im Land war alleine die Folge der Hitler‘schen Machtergreifung, und nicht das Versagen der Westmächte. Es ist nicht richtig den Westmächten die Verantwortung für die Stalin‘sche Machtpolitik in die Schuhe zu schieben. Die liegt in seiner Verantwortung ganz allein. Sie folgt der Logik der Weltrevolution und der angeblichen Umzingelung von lauter Todfeinden. Dass Stalin seine Herrschaft in Ost- und Mitteleuropa brutal durchgesetzt hat, haben die Westmächte zwar gesehen, sie haben es versucht zu verhindern, aber sie haben es nicht gekonnt, es sei denn um den Preis eines Krieges. Doch wer hätte den gewollt? In Deutschland vielleicht noch ein paar Alt-Nazis. Später als der Kalte Krieg sich immer mehr zuspitzte, waren es die Atomwaffen, die eine unmittelbare kriegerische Auseinandersetzung zwischen den beiden Supermächten USA und SU verunmöglichten.

 

Das verrückte am Kalten Krieg war ja, dass die beiden Supermächte ihre Rivalitäten nur verdeckt austragen konnten, es sei denn, sie hätten ihre eigene Vernichtung und die ihrer Partner hingenommen. 

 

Wer also in der DDR den Zusammenhang zwischen der Zwangsvereinigung, der Errichtung einer kommunistischen Diktatur und der Deutschen Teilung genau analysierte, der konnte hierin den Schlüssel zur Rückabwicklung von Teilung und Diktatur erkennen. Das Schlüsselloch dafür war erst sehr spät offen. Das hat was mit Gorbatschow und dem offenen Ausbruch der kommunistischen Krise zu tun.

 

Die Wiedergründung einer sozialdemokratischen Partei in Ostdeutschland hat eben doch etwas mit der Zwangsvereinigung zu tun, auch wenn es hier wieder nicht um Ideologie geht, sondern um Macht. Und um die Rückbesinnung und Nutzbarmachung demokratischer, freiheitlicher und aufklärerischer Traditionen, von denen nach 40 Jahren DDR noch etwas vorhanden war in der Gesellschaft der DDR. Mit der Existenz einer SPD war die Fortexistenz der SED jedenfalls nicht mehr vereinbar. Ihre Schwäche in der zweiten Hälfte der 80-ger hat mit vielem zu tun, doch eine Koexistenz von SED und SPD nebeneinander war ausgeschlossen. Von daher war die Umbenennung von SED in PDS ein zwangsläufiger Schritt.

 

Im Grunde braucht es, weil es so logisch ist nicht mehr erwähnt zu werden, dass es nach der Entmachtung der SED keine Grundlage mehr dafür gab an der Teilung Deutschlands festzuhalten. Auch dafür kann man, wenn man will, in 1946 die spiegelbildliche Vorlage erkennen.  

 

Ich habe nicht das Gefühl, dass sich in der SPD jeder dieser Zusammenhänge bewusst ist. In gewisser Weise geben sie der Zwangsvereinigung überhaupt erst einen Sinn. Hier sind nicht nur Opfer zu beklagen. Sondern es gilt eine Kraft zu bewundern, vor denen die Kommunisten Angst hatten, und die sie zum Schluss überwunden hat. Allerdings muss dafür die Schimäre eines Schismas der Arbeiterbewegung überwunden sein, und das ist sie nicht. Das was sich 1917 mit der Gründung des Spartakusbundes abgespielt hat, woraus die KPD ja wurde, passte nicht mehr in eine SPD, die sich für einen demokratischen Weg entschieden hatte. Es konnte nicht zusammen bleiben, was nicht zusammen gehört.

 

Doch es ist auch klar, dass die Geschichte alleine das Verhältnis dieser beiden Parteien nicht bestimmen wird. Da geht es um mehr. Eine moderne SPD muss Antworten liefern, wie der sozialen Verunsicherung in Zeiten der permanenten Modernisierung unserer Gesellschaft Einhalt geboten werden kann, ohne diese Modernisierung selbst zu verteufeln. PEGIDA und AfD sind nicht nur populistische, rassistische und z.T. auch nationalistische Mißgeburten, sie bauen leider auch auf einem neu entstehendem sozialen Nährboden auf. Das Auseinanderdriften von Arm und Reich, Armuts-, Unrechts- und Unterdrückungserfahrungen im Niedriglohnsektor und im wachsenden Dienstleistungsbereich, Unfreiheitserfahrungen in alten Institutionen wie z.B. unserem Wissenschafts- und Forschungssektor, autoritäre Strukturen in der öffentlichen Verwaltung oder auch Ohnmachtserfahrungen gegenüber kartellartigen und marktbeherrschenden Wirtschaftsinteressen sind hier die Stichworte.

 

1946 ging es um sozialdemokratische Kernthemen, wie Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung. Sie mussten ausgeschaltet werden, bevor die Kommunisten ihre Herrschaft befestigen konnten.

 

Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung aber sind uns so selbstverständlich geworden, dass fast niemand mehr glaubt, dafür noch einmal zu Felde ziehen zu müssen. Das dürfte sich als ein gefährlicher Irrtum erweisen. Denn nichts ist selbstverständlich.

 

Spätestens nachdem Mandatsträger sich vom rechtsextremen Mopp einschüchtern ließen,  muss nun auch dem letzten klar sein, dass uns eine Zeit bevorsteht, wo wir mehr als vorher werden für unsere Demokratie kämpfen müssen. Das kann man nicht mit Medien alleine, das muss vor Ort ausgefochten werden. Und da gibt es manchmal kaum Strukturen, auf die man aufbauen kann.

 

Doch was sind diese Aufgaben im Verhältnis zu jenen, mit denen wir uns einst gegen eine verhasste Diktatur zur Wehr gesetzt und sie beseitigt haben. In dieser Erfahrung liegt viel Kraft und Selbstbewusstsein verborgen. Wir werden sie brauchen müssen, wenn wir wollen, dass unsere Gesellschaft den eingeschlagenen demokratischen Weg weitergeht. Und deshalb sollten wir uns auch die Symbole dieser Emanzipation und Selbstermächtigung nicht aus der Hand schlagen lassen, wie die BStU oder das StUG, die es zu erhalten gilt.

 

Sie zeigen wie schwer es war und was es für Kräfte gekostet hat, die verhasste SED-Diktatur zu überwinden. Es gibt auch noch andere Gründe dafür, doch heute im Gedenken an die Zwangsvereinigung mögen sie genügen.

 

Mein letzter Gedanke gilt den Opfer der Zwangsvereinigung. Ihre Zahl geht in die zehntausende. Viele sind verhaftet worden, nicht wenige verurteilt, deportiert, einige erschossen worden. Einige haben in der West-SPD Karriere gemacht. Ihnen gilt unser ehrendes Andenken und unsere Dankbarkeit. Wenn  wir heute Freiheit unser eigen nennen, dann auch ihretwegen.