Auch die Grünen machen Fehler

Ein Beispiel ist Bettina Jarrasch.

 

Nach meinem Eindruck war sie eine Kompromiss-Kandidatin für die Spitzenposition der Berliner Grünen bei der vorletzten Abgeordnetenhauswahl, also jener Wahl, die wegen der gravierenden handwerklichen Fehler in ihrer Durchführung jetzt noch einmal wiederholt werden musste. Die Berliner Grünen hätten durchaus Sympathie-Kandidaten und bekannte Figuren gehabt, die in Berlin gut angekommen wären. Aber die konnten sich nicht einigen, und wollten es wohl auch nicht. So verständigten sie sich auf die bis dahin nahezu unbekannte Frau Jarrasch, und lobten sich öffentlich ihrer Klugheit. Doch genau diese Entscheidung sollte sich als verhängnisvoll erweisen.

 

Zum Zeitpunkt der Nominierung von Frau Jarrasch hatten die Grünen gerade keinen Hype, aber als es zur Wahl kam schon. Aber noch größer war der Hype der SPD, die mit ihrer Spitzenkandidatin, der bis dahin quasi unverbrauchten Franziska Giffey gut punkten konnten, und die es geschafft hatte, die SPD zur Mehrheitssiegerin zu machen.

 

Der Ausgang der Wahl war denkbar knapp, und der Vorsprung von Franziska Giffey in den Umfragen schwand dahin. Zum Schluss landeten die Grünen nur knapp hinter der SPD.

Schon bei dieser Wahl also hätten die Berliner Grünen es mit einer anderen Kandidatin vielleicht geschafft, ins Rote Rathaus einzuziehen. Vielleicht. Mit Bettina Jarrasch haben sie es nicht geschafft.

 

Dann wurde in Berlin Rot rot grün fortgesetzt. Für die Grünen verhandelte Bettina Jarrasch. Und Insiderkreise kolportierten, dass Frau Jarrasch, eine, vorsichtig ausgedrückt, schwierige Verhandlungspartnerin war: besserwisserisch, unbelehrbar, zänkisch.

 

Die Grünen waren nicht der Traumpartner für Franziska Giffey. Die hätte damals schon angesichts der größeren inhaltlichen Nähe in wichtigen Sachthemen wohl die CDU bevorzugt. Aber das schien sie der SPD nicht zumuten zu wollen. So gab sich Franziska Giffey mit dem von ihr ungeliebten rot-grün-rot zufrieden, auf ihre Popularität vertrauend, und auf ihre Art der öffentlichen Kommunikation, die ihr den Ruf einer Macherin verschaffte, eine Hoffnungsträgerin eben, in der der alte Typ eines Politikers wieder aufschien, der keine Angst vor den Leuten hat, der das Gespräch sucht, der die Brennpunkte aufsucht, der vor Ort ist, der zuhören kann, der sich stellt, und der anpackt. Auf eine Kraft also, die jenseits der Fesseln eines Koalitionsvertrages das in ihren Augen wünschenswerte und vernünftige durchsetzen konnte.

 

Der ausgehandelte Koalitionsvertrag entsprach nicht den Wünschen von Franziska Giffey insbesondere in der Verkehrspolitik oder beim Öffentlichen Nahverkehr.  Er setzte die falschen Prioritäten: kaum ein Wort zur U-Bahn, statt dessen Bevorzugung der Tram, keine Entscheidung für den Weiterbau der A100 trotz Baurechts, usw..

 

Am Anfang hörte man nicht viel aus dem Senat. Aber dann merkte man schon, schlicht am Agieren der Regierenden Bürgermeisterin Giffey, dass sie versuchte in ihren öffentlichen Auftritten vollendete Tatsachen zu schaffen. Dass sie dabei auch in Themen wandelte, die Herzensangelegenheiten der Grünen waren, störte sie nicht, im Gegenteil, es war ihr herzlich egal. Im Grunde war es ja ihre Strategie. Vollendete Tatsachen schaffen, die von ihren Partnern zähneknirschend akzeptiert werden mussten, es sei denn sie protestierten öffentlich und unter Verletzung des Loyalitätsgebots, ohne dass keine Koalition eine Legislaturperiode überstehen kann.

 

Besonders schwer scheint das der Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, Bettina Jarrasch gefallen zu sein. Im Stil einer Umweltaktivistin, die sie im Grunde ist, verprellte sie nicht nur die Regierende Bürgermeisterin, sondern noch mehr den Bürger: Auto-Parkplätze für Fahrräder, Einschränkung des Autoverkehrs durch Verknappung des Park- und Fahrraums, Hinnahme, ja geradezu Instrumentalisierung der täglichen Staus auf den Berliner Straßen. Jarrasch schien die Berliner gerade zwingen zu wollen, auf den Öffentlichen Nahverkehr umzusteigen, trotz fehlender Kapazitäten und langen Fahrzeiten. Und eine Perspektive für die Verbesserung des ÖPNV bot sie mit ihrem Vorhaben des Ausbaus der Tram nicht. Aber einer effektiven Verbesserung des ÖPNV, der in Berlin nur durch den Ausbau des U-Bahn-Systems möglich ist, verweigerten sich die Grünen, an ihrer Spitze, Bettina Jarrasch, mit dem Verweis auf die CO2 - Bilanz des U-Bahn-Baus. Das war nicht wirklich ehrlich, denn zur ökologischen Bewertung des ÖPNV-Ausbaus mittels U-Bahnen müsste man den gesamten Lebenszyklus dieses Verkehrsträgers betrachten, und dass der angesichts der hohen Taktzahl und Kapazitäten verbunden mit Pünktlichkeit, schlechter sein soll, als bei der Tram, erscheint mir nicht glaubhaft zu sein.

 

Hier schwelte ein für die rot-rot-grüne Koalition offener Konflikt, in dem Bettina Jarrasch unbeirrt ihre öffentlichen Prioritäten setzte. Und das gipfelte in der Umwidmung der Friedrichstraße zur Fußgängerzone. Damit aber überschritt die Umweltsenatorin eine Grenze. Die Geschäftsinhaber der Einzelhandelsläden, die ohnehin unter der erstarkten Konkurrenz der gewaltigen Berliner Malls litten, nahm sie die letzten Kunden weg, nämlich jene, die mit Auto einkaufen fuhren. Die anderen fuhren ohnehin schon lieber ins Alexa, oder in der Berlin-Mall.

 

Franziska Giffey wollte das nicht, offenkundig. Ihr Herz schlug für die Ladenbesitzer, deren Nöte sie gut nachvollzog. Bettina Jarrasch aber versuchte ihren Kopf durchzusetzen, und machte dabei noch schwere handwerkliche Fehler. So konnten die Ladeninhaber per Gerichtsbeschluss die Straße wieder für den Autoverkehr öffnen, nicht ohne dass sich die Regierende und ihre Senatorin ein öffentliches Gemetzel lieferten, das es in sich hatte, und das zeigte, wie zerrüttet das Verhältnis inzwischen war. So unterstellte Frau Jarrasch ihrer Regierenden schlicht, dass sie das Gerichtsurteil gar nicht gelesen hätte, und erst recht nicht verstanden. Und dass die Friedrichstrasse so oder so, zur Fußgängerzone würde.

 

Jetzt verstand jeder in Berlin, dass die Koalition am Ende war.

 

Dafür hätte es des Neuwahltermins, ausgelöst von der Berliner Verwaltungsmisere um die vorherige Abgeordnetenhauswahl, für das ausschließlich die SPD die politische Verantwortung trug, gar nicht bedurft.

 

Kurz Jarrasch war alles andere als geschickt vorgegangen. Zur Gilde der grünen Sympathieträger wie Habeck, oder Özdemir, oder Wolfgang Wieland oder auch Ramona Pop gehört sie nicht. Die hätten vielleicht eine Lösung für die Konflikte mit der SPD gefunden. Aber Bettina Jarrasch wollte das gar nicht. Sie hat sie gar nicht gesucht.

 

Als Aktivistin will man auch keine Kompromisse. Vielmehr setzt man auf Anecken, auf Aufmerksamkeit schaffen durch Aktionen, selbst wenn diese verärgern, stressen oder nötigen. Das sind Grenzüberschreitungen, die hingenommen, ja im großen Stil unterstützt werden, wenn es um wichtige Grundrechte geht, wie bei den Begründern der Aktionen des zivilen Ungehorsams, Mahatma Ghandi und Martin Luther King.

 

Doch Klimaschutz, Fahrradverkehre, Einschränkungen des Autoverkehrs gehören nicht zu unseren Grundrechten, auch wenn sie von ihren Lobbyisten dazu erklärt werden.

 

In einer offenen Gesellschaft freier Menschen darf man in der Politik nur als letztes Mittel von freiheitseinschränkenden Mitteln Gebrauch machen. Wichtiger ist eine Strategie, die den Bürgern aus ihrer alltäglichen Lebenssituation heraus das für die Allgemeinheit vernünftige Individual-verhalten nahelegt. Das ist schwierig, aber geht. Der Ausbau der U-Bahn in Kombination mit autonom fahrenden Elektroautos könnte die tägliche Fahrt zur Arbeit in der Innenstadt für die Bewohner der Randbezirke und der Vor-Ort-Gemeinden von ganz alleine nahelegen, weil es zeitlich und finanziell Vorteile bringt.

 

Das wissen große Teile bei den Grünen auch. Und da wo sie das Sagen haben, schaffen sie es sehr wohl, immer größere Schichten an Wählern zu erreichten. Von alleine ist der Hype der Grünen ja nicht entstanden, das grüne Thema an sich, kann, wie man an Frau Jarrasch auch verprellen.

 

Und hätte jetzt eine Ramona Popp zum Beispiel an der Spitze der Berliner Grünen gestanden, dann wäre sie längst ins Rote Rathaus eingezogen, dann würde jetzt Kai Wegner von der CDU mit ihr den neuen Koalitionsvertrag aushandeln. Aber auf die Aktivistin Jarrasch hatte er, der ja die Wahl gewonnen hat, nachvollziehbarer Weise keine Lust, weshalb es der SPD in einer listigen Volte gelungen ist, die Grünen aus dem Machtpoker um die Macht in Berlin auszuschließen.  

 

Kurz die Grünen haben sich ins Knie geschossen. Gut, dass das nicht immer nur die eigene Partei macht.