Rede zum Mauerfall vor 25 Jahren

 

Festveranstaltung und musikalische Feierstunde Prenzlau 7.11.2014

 

 

Dass wir heute ungehindert von West- nach Ostdeutschland, von Ost- nach Westberlin kommen und umgekehrt, kommt uns vor als sei es eine pure Selbstverständlichkeit. Und doch haben viele von uns Jahre, Jahrzehnte hinter uns, wo wir dachten, dass wir das nicht erleben würden.

 

 

Heute ist die Deutsche Einheit Alltag, 20 % unseres Volkes sind erst nach dem Mauerfall geboren worden, haben also die Teilung nicht mit am eigenen Leibe gespürt. Die Zeit vergeht. Das ist gut so. Es ist gut, dass ein Alptraum immer mehr in der Hintergrund rückt, und wir keine Angst mehr zu haben brauchen, dass er wieder zurückkommt.

 

 

Doch wie William Faulkner, der große amerikanische Schriftsteller schrieb, „Das Vergangene ist nicht tot; es ist noch nicht einmal vergangen.“, sind die Emotionen aus dieser Zeit noch ganz da. Am ehesten spüre ich sie, wenn ich die Bilder von der Maueröffnung wieder sehe, ganz gleich ob das zufällig passiert, oder erwarteter Weise. Dann kommen einen plötzlich die Tränen, und man weiß gar nicht warum. Denn der Mauerfall war ein toller, ein wunderschöner Tag, ein Tag der in Goethes Faust passen würde: „Verweile doch, Du bist so schön …“. Aber wie alle Tage, gehen auch die schönsten zu Ende, insbesondere, wenn sie eigentlich eine Nacht sind. Trotzdem, warum kommen einem die Tränen.

 

 

Ich bin kein Psychologe. Aber ich habe mir immer wieder diese Frage gestellt. Und ich will sie nicht psychologisch beantworten.

 

 

Ich denke, das hängt mit der Last zusammen, dem Alpdruck, der in diesem Moment des Mauerfalls von einem abgefallen ist. Ein Alptraum und die Befreiung von ihm, diese beiden Dinge hängen ja unmittelbar miteinander zusammen. Und so fühlt man im Moment des Glückes das Unglück mit, und kann es nicht ungeschehen machen. Es ist passiert. Auch was wir überwunden haben, bleibt in uns, ist unser Leben, ist unsere Geschichte. Es drängt nach außen, will wahrgenommen werden, will gelebt werden. Wir aber wollen unsere Alpträume hinter uns lassen. Und so passiert es, dass das erlebte Unglück manchmal erst im Moment des Glückes die Chance hat, zu uns vorgelassen zu werden.

 

 

Die DDR war ein Unglück. Viele Menschen sehen das heute nicht so. Sie wollen sich ihr Leben in der DDR nicht kaputtreden lassen, nicht vom Westen, nicht von diesen ehemaligen Bürgerrechtlern, zu denen ich mich selbstverständlich auch zähle. Ich will das auch gar nicht. Ich schicke das vorweg. Ich möchte niemanden seine Wahrnehmungen, seine Biographie nehmen, ignorieren, verleugnen, oder umdeuten. Ich möchte, dass sich jeder zu seinen Erinnerungen bekennen kann. Aber das gilt auch für jeden. Jeder muss das Recht haben, sein Leben so zu erinnern und so darüber zu reden, wie er es wahrgenommen hat. Das macht im Kern die Demokratie aus, und ist einer der entscheidenden Unterschiede zu hinter uns liegenden DDR, wo man sich nicht getraut hat, zu sagen was man fühlt, was man denkt.

 

 

Die DDR hat nicht nur die Meinungsfreiheit unterdrückt, sie hat auch Denkverbote ausgesprochen. Deutsche Einheit, freie Wahlen, Marktwirtschaft, freie Medien, bürgerliche Gesellschaft, freie Unternehmen, freie Gewerkschaften, freie Schulen, Reisefreiheit, demokratische Parteien waren Tabu. Wer sie ins Gespräch brachte, machte sich verdächtig. Wer in Ruhe leben wollte, durfte an diese Sachen gar nicht rühren. Er schloss sie tief in seine innere, seelische Schatzkammer ein. Dort ruhten sie Jahrzehnte. Manch einer hat sie sogar dort vergessen. Anpassung an die Diktatur war eine Tugend, die Eltern an ihre Kinder weitergaben, die, um Gottes Willen, kein loses Wort zu viel riskieren durften, damit sie ihre beruflichen Chancen in der DDR nicht verspielten. Manche gingen sogar drei Jahre dafür zur Armee, man war in den Pionieren, in der DSF, im FDGB, in den Kampfgruppen, in den Blockparteien. Viele trieben die Anpassung so weit, dass sie sogar in die SED gingen, obwohl sie überhaupt keine Kommunisten waren. Man ging zu den Kampfdemonstrationen und man ging falten. Die SED passte genau auf, ob sich hier wer verweigerte. Wenn sie das merkten, wurde es unangenehm. Es war extrem schwer in der DDR für die Vernunft einzutreten.

 

 

Die meisten Menschen machten einen guten Job, lebten für das Wohl ihres Betriebes, identifizierten sich mit ihren Leistungen. Sie bildeten Kinder aus, betreuten die Jugendlichen, machten soziale Arbeit, forschten auf hohem Niveau. Sie versuchten in ihrer Familie und persönlichen Umfeld eine liebevolle Athmospäre zu erzeugen, und haben das in der Regel auch geschafft. Dafür hat der mainstream den Begriff vom richtigen Leben im falschen erfunden. Ich würde das anders nennen: sich nicht unterkriegen lassen. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass man seinen Beitrag zum Leben der Gemeinschaft geben will, dass man sich freut über Anerkennung. Und es ist auch eine Frage der eigenen Würde, dass man auch unter schwierigsten Bedingungen, seine Mitmenschen nicht im Stich lässt, sondern füreinander da ist, so gut es geht. Das war nicht einfach, und angstfrei war das schon gar nicht. Im Gegenteil, die Angst gehörte dazu, sie war unser ständiger Begleiter in der DDR. Nicht irgendwelche, sondern die Angst vorm Staat.

 

 

Das war unser Leben in der DDR, ist unsere Geschichte, und darüber ist heute zu reden.

 

 

Betrachten wir diese überwundene DDR von einer anderen Seite. Was war sie eigentlich, und was war ihre Mauer?

 

 

Hitler hatte 1939 einen fürchterlichen Krieg vom Zaum gebrochen. Deutschland hat ihn 45 verloren.

 

 

In der Folge wurde es geteilt. Ein Teil verschwand komplett. Den größeren Rest teilten sich die Alliierten untereinander auf. Seinen östlichen Teil bekam Stalin. Das war die sowjetische Besatzungszone.

 

 

Die Alliierten konnten sich nicht einigen darüber, was aus Deutschland als Ganzem wird. Im Gegenteil; der 2.Weltkrieg war ihnen so in die Glieder gefahren, Deutschland hatte eine solche Macht in Europa errungen, dass man diesen Zustand eigentlich nur mit Erfolg Napoleons vergleichen kann, der im Gegensatz zu Hitler ja eher ein Modernisierer war. Hitler war es gelungen, ganze Nationen verschwinden zu lassen: Polen, die Tschechoslowakei, Österreich, anderer hatte er besetzt. Von den freien Ländern in Westeuropa blieb nur Großbritannien übrig, dass mit dem Rücken an der Wand, um seine Existenz kämpfte. Im Osten blieb nur die Sowjetunion übrig. An diesem Riesen biss sich Hitler die Zähne aus. Und das auch nur deshalb, weil es von den USA unterstützt wurde, welche wiederum begriffen, dass es bei diesem Krieg auch um sie ging. Deshalb war die USA von Anfang an im Krieg gegen Hitlerdeutschland dabei.

 

 

Das muss man wissen, wenn man begreifen will, um was es für die Alliierten nach Kriegsende bei Deutschland ging. Denn der Kalte Krieg drehte sich in seinem Kern darum, wer Deutschland bekommt, ob Westen oder Osten. Im Kern also, wird Deutschland zum westlichen Einflussgebiet, oder zum sowjetischen, stalinistischen?

 

 

Der Kalte Krieg konnte militärisch nicht ausgetragen werden, weil der technische Fortschritt inzwischen Atomwaffen produziert hatte, die so schrecklich waren, dass sich beide Seiten, die US-amerikanische, als auch die sowjetische Seite sich darüber im Klaren waren, dass sie aus sittlichen Gründen nicht eingesetzt werden durften.

 

 

Es führe jetzt zu weit, das im Einzelnen zu belegen, aber Harry Truman, der ja bekanntlich zwei Atombomben über Japan abwerfen ließ, war klar geworden, dass der weitere Einsatz dieser Bomben jedes Kriegsziel in Frage stellen würde. Der Einsatz von Atomwaffen war nur für den sinnvoll, der die totale Vernichtung wollte. Nicht mal Stalin wollte ernsthaft, soweit wir das wissen, seine Atom- und Wasserstoffbomben einsetzen. Er wollte den Imperialismus vernichten, aber doch nicht die dortigen Gesellschaften. Die wollte er vielleicht besitzen, aber nicht töten, und so war das bei den Amerikanern auch.

 

 

Das führte zum Stillstand, und zur gegenseitigen Blockade. Die Deutschen konnten diesen Zustand nicht beenden, weil sie besetzt waren. Die USA und die Sowjetunion wollten es nicht, weil sie dem jeweils anderen keinen Fußbreit Erfolg gönnten.

 

 

Das ist der eine Aspekt. Der andere ist die Ungleichheit der jeweiligen Besatzungsmächte. Der Westen stand für Demokratie und Marktwirtschaft, schon wenige Jahre nach Kriegsende entwickelte sich Westdeutschland zu einem Wirtschaftswunderland. Ostdeutschland hingegen musste die ineffektive, sowjetische Staatswirtschaft praktizieren, und hatte außerdem eine leninistische Diktatur auszuhalten, deren schlimmster Exekutor Stalin gewesen war.

 

 

Im Grunde war die DDR die westlichste Ausdehnung des Stalin‘schen Riesenreiches, das hierbei durchaus auch neben seinem sozialistischen, in diesem Fall antikapitalistischen Selbstverständnis in der zaristisch-imperialen Tradition eines Kolonialreiches stand. Das ist der eigentliche Grund für das bittere Schicksals der DDR-Bevölkerung.

 

 

Dass die Menschen in Scharen aus der DDR flohen hat darin seine Ursache.

 

 

Ulbricht und Chrustschow wussten sich nur noch durch den Bau einer Mauer dagegen zu helfen. Die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit der DDR und der innere Zusammenhalt der der kommunistisch regierten Satellitenstaaten der Sowjetunion stand in Frage.

 

 

Demarkationslinie des Kalten Krieges und Gefängnis für die DDR-Bevölkerung, das ist die Mauer gewesen.

 

 

Ich sagte es schon, 1961 hatten wir das Gefühl, die steht jetzt lange dort. Beton gegen die Freiheit, gegen Lebensglück, wirtschaftliche Prosperität, gesellschaftliche Vielfalt.

 

 

Das sollte Jahrzehnte so bleiben.

 

 

Da ist viel passiert. Entspannungspolitik, neue Generalsekretäre, aber an der Grundkonstellation hat sich nichts geändert. Die DDR blieb was sie war, eine Diktatur und eine ineffiziente, ständig vorm Bankrott stehende Staatswirtschaft. Die Menschen wollten raus, viele. Die meisten aber hatten sich eingerichtet. Und was ist eine Flucht schon für eine Lösung? Eine individuelle schon, aber um den Preis von Wurzeln, Heimat, Familie, Vermögen. Eine politische aber nicht. Die ermöglichte erst die neue Politik Gorbatschows. Und das wurde in der Tat spannend. Er kam 85 an die Macht. Ob er seine Politik schon mitbrachte, oder erst als 1. Mann der SU entwickelte, das weiß ich nicht.

 

 

Er war offenbar nach einer eingehenden Kosten-Nutzen-Rechnung zu dem Schluss gekommen, dass er sich den Kalten Krieges, die militärische Hochrüstung und die Sicherung der Machtverhältnisse in seinen sozialistischen Bruderländer nicht mehr leisten konnte. Und so versuchte er die Gesellschaft in der SU zu revitalisieren durch Glasnost und Perestroika, und dann entließ er seine in den ost- und mitteleuropäischen Satellitenstaaten herrschenden Bruderparteien in die Selbstbestimmung. Das war für die ein Danaer-Geschenk.

 

 

Äußerlich ging es um die Breschnew-Doktrin. Diese Breschnew – Doktrin, die meines Wissens nicht auf dem Papier gestanden hat, war ein Bestandteil unserer DDR-Wirklichkeit. Sie war die politische Formel des sowjetischen Herrschaftsanspruchs über ihre ost- und mitteleuropäischen Satellitenstaaten, den sie, falls nötig, militärisch sichern würde.

 

 

Stalin hatte keine Breschnew-Doktrin. Ihm konnte man abnehmen, dass er keines seiner Gebiete freiwillig hergeben würde. Breschnew, Generalsekretär der 60 und 70-ger Jahre bekräftigte dies noch einmal und legitimierte damit den Einmarsch in Prag 68, in Ungarn 56, die Niederschlagung des Aufstandes bei uns 1953. Nur in Polen hatte man die Drecksarbeit von den polnischen Kommunisten selber machen lassen.

 

 

Damit war politischer Spielraum entstanden, für die SED eine Quelle von Angst, für die anderen der Hoffnung. Es hing von der politischen Analysefähigkeit ab, die Konsequenzen dieses Spielraums zu durchdenken. Die ersten die diesen Spielraum begriffen, waren die Polen und die Ungarn. In Polen führte das zu den ersten freien Wahlen im Juni 1989 im sowjetischen Herrschaftsgebiet überhaupt. In Ungarn veränderte die Kommunistische Partei die Verfassung und strich dort selbst ihren Wahrheitsanspruch, und sie öffnete ebenfalls im Juni den Eisernen Vorhang.

 

 

In der DDR machte sich die Oppositionsbewegung diesen Spielraum zu Nutze, am radikalsten die Gründer der sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP). Sie formulierten ihre Zielvorstellungen für eine Demokratie in der DDR, die aufs Haar der einer westeuropäischen Demokratie glich.

 

 

Das konnten sie natürlich nur machen, weil sie darauf vertrauten, dass Gorbatschow tatsächlich seine Truppen in den Kasernen ließ. Sie teilten seine Analyse, dass der Kommunismus, dass die SU bankrott ist. Gorbatschow selbst sprach von marode: „Von allen maroden Staaten in den kommunistischen Ländern sind wir das marodeste. Und wenn wir nicht aufpassen, dann droht uns ein Verlust, der größer ist als die russischen Gebietsverluste am Ende des 1.Weltkrieges.“ Das war die Analyse Gorbatschows. Gorbatschow wollte seine Sowjetunion retten, ihn kümmerte das Schicksal seiner Satellitenstaaten nicht mehr. Denen konnte er sowieso nicht mehr helfen.

 

 

Im Westen hat man das nicht glauben wollen. In der DDR hatte die SED Angst bekommen. Nur so erklären sich Sputnikverbot und diese merkwürdigen Sprüche, wie „die Mauer steht noch 50 Jahre, und wenns sein muss 100!“ (Erich Honecker) oder (Kurz Hager) „wenn unser Nachbar seine Wohnung renoviert, müssen wir noch lange nicht neu tapezieren!“. Die Menschen in der DDR spürten den schleichenden Machtverlust der SED. Deshalb begannen sie an den öffentlichen Aktionen der kleinen DDR-Opposition teilzunehmen. So kam es zu den Montagsdemonstrationen in Leipzig, die sich aus den seit Jahren stattfindenden allmontäglichen Fürbittandachten von Christoph Wonneberger und Christian Führer entwickelten. Wie ein Flächenbrand brach dann im Oktober 89 der Volksaufstand gegen die verhasste SED-Diktatur aus. Plauen 20000 Menschen, Leipzig am 9. Oktober 70000 Menschen. In Dresden führten am 7.,8. und 9. Oktober die durchreisenden D-Züge mit den Botschaftsflüchtlingen zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, in Berlin war’s die Wahlfälschungsdemo, die jeweils am 7. allmonatlich stattgefunden hatte, welche vor der Gethsemanekirche zusammengeknüppelt wurde.

 

 

Die SED traute sich nicht ihr auf die Leute zu schießen. Sie konnte es auch nicht, denn die SU hatte ihr dafür kein Plazet gegeben. Zwar ließ sie durchaus knüppeln, was die Gemüter sehr bewegt hat, aber die eigenen Leute sind ihr von der Fahne gegangen. Die Leute traten aus den Kampfgruppen aus, Offiziersschüler warfen ihre Waffen weg, und die kasernierte Volkspolizei verweigerte die Befehle.

 

 

Der Oktober 89 ging als Beginn einer friedlichen Revolution in die Geschichtsbücher ein, die wir uns selbst, und die Welt uns Deutschen nicht zugetraut hatte. Die Ostdeutschen machten Weltgeschichte.

 

 

Die damaligen Demonstrationen breiteten sich flächendeckend aus. Sie zwangen die SED-Repräsentanten zum öffentlichen Gespräch, wo sie ausgesprochen schlecht aussahen. Sie hatten nichts zu bieten. Sie konnten Diktatur, Demokratie konnten sie nicht.

 

 

Es kam zu Veranstaltungen, wo die Leute sie auslachten. Den letzten Rest bekamen sie auf der Großdemo am 4. November 89 in Ostberlin auf dem Alex, wo nicht wenige der Redner mit Hilfe eines verbesserten Sozialismus die DDR retten wollten. Sie kamen damit nicht durch, sie kamen nicht an. Die Reaktion der Demonstranten war eindeutig. Schabowski wurde so ausgebuht, dass der aschfahl geworden, vermutlich in diesem Moment begriff, dass das Spiel zu Ende war. Das war der Grund für den Mauerfall, und nicht dieser komische Zettel in der Pressekonferenz.

 

 

Diese Demo war übrigens auch Thema im Kreml, wo am 3.November eine Politbüro – Sitzung stattfand. Ob denn die Demonstranten gegen die Mauer gehen würden, wurde gefragt, woraufhin Schewardnadse klug bemerkte, dass das besser nicht passiere. „Die Mauer sollen die Genossen in Berlin schon selber öffnen.“

 

 

Das genau geschah am 9. November.

 

 

Hierzu hat jeder seine eigenen Erlebnisse. Ich zum Beispiel hatte am Nachmittag ein Gespräch meiner SDP mit einer Delegation der sozialistischen Fraktion des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments in Ostberlin, im Café des Palasts der Republik organisiert, was sich anstandslos machen ließ, auch wenns mir gespenstisch vorkam. Als wir abends im kleinen Kreis in einer Berliner Eckkneipe zusammensaßen und von der Maueröffnung hörten, stießen wir mit dem Spruch: „Wird auch Zeit“ darauf an, und tranken weiter.

 

 

Am Tag danach spricht Willy Brandt mit seinem berühmten Wort vom Zusammenwachsen, was zusammengehöre, zuerst mal sich selbst, aber auch vielen anderen aus dem Herzen. Ein neues Thema beginnt die Straße zu beherrschen. Doch eigentlich ist es ein altes. Siehe Berlin 53, oder Erfurt 1970.

 

 

Die Zeit danach war euphorisch, gleichzeitig voller Arbeit.

 

 

Runder Tisch, freie Wahlen, Schaffung einer demokratischen legitimierten Regierung, das Schaffen eines Staates vor dem nach Möglichkeit die Menschen keine Angst mehr haben müssen.

 

 

Das waren die Aufgaben in der Übergangszeit, wir haben sie gemeistert. Das war nicht einfach, und hat viel Kraft gekostet.

 

 

Die nächste Etappe war die Organisierung der Deutschen Einheit, die eben nicht einfach nur ein Anschluss unter der Nummer 23 war. In zwei Staatsverträgen mussten demokratische und gesamtdeutsche Institutionen geschaffen werden, und, das war uns am wichtigsten die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und rechtlichen Interessen der Ostdeutschen gegenüber den so übermächtig auftretenden Westdeutschen gewahrt werden.

 

 

Es war die Zeit, wo Leute wie Regine Hildebrandt als Arbeitsministerin zu einer der populärsten Politikerinnen der DDR avancierte; andere Minister, wie DDR-Innenminister Diestel entpuppten sich hingegen als Witzfiguren. Die DDR war in diesem halben Jahr eine richtige Demokratie geworden. Wer hätte das ein Jahr vorher noch gedacht.

 

 

Wir haben damals viel erreicht, aber nicht alles.

 

 

Die Deutsche Einheit war eine Lösung für viele unserer Probleme. An manchen Stellen aber hat sie schonungslos den Zustand ostdeutscher Institutionen offengelegt, und zu extremen Härten für die Ostdeutschen beigetragen. Geradezu traumatisch waren für manche die Erfahrungen mit der Treuhand, welche die Aufgabe hatte, die ostdeutschen Betriebe zu privatisieren. Entindustrialisierung lautet das Schlagwort, mit dem deren Arbeit damals beschrieben wurde. Das war ungerecht, und traf doch die Stimmung. Viele Menschen fühlten sich in ihrer Hoffnung, nun endlich mal den gerechten Lohn für ihre Leistung erhalten zu können getrogen. Sie bekamen die Rechnung für die DDR präsentiert, da war die schon Jahre tot.

 

 

Zu den großen Leistungen auf die wir gemeinsam stolz sein können, gehören die gewaltigen Mittel die für den Aufbau Ostdeutschlands und unseren sozialen Zusammenhalt mobilisiert werden konnte. Kohl wollte diese gigantischen Mittel ja niemals zugeben. Ich traf damals als junger MdB den Hauptabteilungsleiter Haushalt des damaligen Bundesfinanzministers in der Kantine des Bundestages in Bonn. Auf meine Frage, was denn die Deutsche Einheit nun wirklich koste, sagte der ehrlich: „Na ja, eine halbe Billion (DM) haben wir schon reingesteckt. Bei der weiteren halben Billion sind wir jetzt, und eine weitere halbe wird wohl noch fließen müssen.“ Heute wissen wir, dass ca. eine Billion € für Ostdeutschland aufgewendet wurden. Damit wurde das soziale Netz, die demokratischen Institutionen, die Infrastruktur und der wirtschaftliche Wiederaufbau finanziert. Letzterer ist m.E. noch nicht abgeschlossen, gleichwohl ist er mit Fördermitteln alleine nicht zu organisieren. Wir alle gemeinsam können auf diese Leistungen stolz sein. Ich lasse das von niemanden zerreden. Früher sprachen wir mal vom Lastenausgleich, der uns in Ostdeutschland fehle, die Vertriebenen hätten ihn damals in der alten Bundesrepublik gehabt. Der tatsächliche Mitteltransfer für Ostdeutschland, an dem sich selbstverständlich auch die Ostdeutschen beteiligen, übertrifft den damaligen Lastenausgleich um ein Vielfaches.

 

 

Das alles ist gut.

 

 

Doch am schönsten ist die Freiheit für mich. Ich weiß, dass Freiheit durch fehlende soziale und wirtschaftliche Absicherung entwertet zu werden droht. Deshalb muss gerade der, der Freiheit will, sich mindestens genauso stark um Solidarität und Gerechtigkeit kümmern. Doch ohne Freiheit geht das alles nicht.

 

 

Freiheit ist das höchste Gut, das wir an unsere Kinder weitergeben können und müssen. Doch Freiheit kann man nicht lehren, Freiheit will gelebt werden, vorgelebt und erlebt werden. Freiheit haben sich die Bürger der DDR 1989 erkämpft. Der Mauerfall ist eine Folge dieses Kampfes um Freiheit.

 

 

Freiheit ist nichts Beliebiges, es hat damit zu tun, wie ich denke, und was ich fühle. Letzteres hängt ja auch sehr eng miteinander zusammen. Freiheit will nicht einfach gefüllt werden, aber ich brauche sie, wenn ich anfange, Grenzen zu sprengen. Und die stärksten Grenzen stecken in uns selbst, in unserem Denken, in unserem Handeln. Freiheit hat etwas mit Zutrauen, Vertrauen, vor allem mit Selbstvertrauen zu tun. Ohne Selbstvertrauen fehlt uns der Mut, Dinge anzupacken, vor denen andere zurückschrecken, von deren Bedeutung ich selbst aber überzeugt bin.

 

 

Viel zu häufig schüchtert unsere Gesellschaft Menschen ein, statt sie zu ermutigen. Wir sind sehr selbstkritisch, und merken gar nicht, wie wir auf diese Weise uns selbst und andere hemmen, neue Wege zu gehen.

 

 

Als wir uns daran machten, die Fesseln der SED-Diktatur zu sprengen, da hatten wir von niemanden Unterstützung, wenns hoch kam, vielleicht Verständnis.

 

 

Die Macht der SED zu brechen, war ein gewaltiger Akt, war eine Riesenherausforderung.

 

 

Niemand soll glauben, dass es die heutige Generation leichter hat. Die Probleme sind andere geworden. Klimawandel, ausufernder Kapitalismus, den wir zwar brauchen, aber gleichzeitig zähmen müssen, neue soziale Schieflagen, exorbitanter Reichtum bei wenigen, aber auch die europäischen Herausforderungen, z.B. in der Ukraine oder in Russland, verlangen Kreativität und Mut. Eine Gesellschaft, die hier einfach nur den vorhandenen Institutionen vertraut, ohne sie kritisch zu begleiten, ohne sich einzumischen, ohne zu fordern, und sich einzumischen, ist zur Enttäuschung verdammt. Politik macht Spaß, wenn man beginnt sie zu betreiben.

 

 

Mut braucht es immer, wenn man beginnt seine eigenen Wege zu gehen. Aber es ist ein Versprechen damit verbunden. Das ist das Versprechen des Lebens selbst, das den belohnt, der seiner Neugierde, seinem Tatendrang beginnt zu folgen. Und das gilt für alle gesellschaftlichen Bereiche, nicht nur die Politik, dort aber insbesondere.

 

 

Freiheit hat etwas mit Emanzipation zu tun, von den alten Denk- und Handlungsmustern. Es gibt kein Problem unserer Tage, das sich ohne eine derartige Emanzipation lösen ließe. Deshalb liebe Eltern, lasst Eure Kinder eigene Erfahrungen machen, traut ihnen zu, dass sie ihren Weg selber gehen können. Und den Nachwachsenden will ich sagen, geht in die Welt, die wartet auf Euch, aber sie kommt nicht von alleine zu Euch.

 

 

In Ostdeutschland liegt noch manches im Argen. Ich will das nicht alles benennen. Man spricht hier manchmal von strukturschwachen Gebieten. Lasst es nicht zu, dass das ein Vorwurf werden kann. Man kann zu neuen Ufern aufbrechen, ohne die Heimat verlassen zu müssen.

 

 

Die Uckermark ist eine alte Region, die viel Zukunft vor sich hat. Überall dort, wo Menschen aufbrechen, die Welt hier her holen, sie hier leben, Neues wagen, erhöhen sie gleichzeitig die Attraktivität dieser Region.

 

 

Das wird unsere Zukunft sein. Dafür haben wir die Fesseln gesprengt, und die Mauer geöffnet. Wir haben die Freiheit in unser Land zurückgeholt. Freiheit wird einem nicht geschenkt. Die muss man sich nehmen. Das ist die Botschaft der Maueröffnung vor 25 Jahren.

 

 

Rede zum Mauerfall vor 25 Jahren

 

Festveranstaltung und musikalische Feierstunde Prenzlau 7.11.2014

 

 

Dass wir heute ungehindert von West- nach Ostdeutschland, von Ost- nach Westberlin kommen und umgekehrt, kommt uns vor als sei es eine pure Selbstverständlichkeit. Und doch haben viele von uns Jahre, Jahrzehnte hinter uns, wo wir dachten, dass wir das nicht erleben würden.

 

 

Heute ist die Deutsche Einheit Alltag, 20 % unseres Volkes sind erst nach dem Mauerfall geboren worden, haben also die Teilung nicht mit am eigenen Leibe gespürt. Die Zeit vergeht. Das ist gut so. Es ist gut, dass ein Alptraum immer mehr in der Hintergrund rückt, und wir keine Angst mehr zu haben brauchen, dass er wieder zurückkommt.

 

 

Doch wie William Faulkner, der große amerikanische Schriftsteller schrieb, „Das Vergangene ist nicht tot; es ist noch nicht einmal vergangen.“, sind die Emotionen aus dieser Zeit noch ganz da. Am ehesten spüre ich sie, wenn ich die Bilder von der Maueröffnung wieder sehe, ganz gleich ob das zufällig passiert, oder erwarteter Weise. Dann kommen einen plötzlich die Tränen, und man weiß gar nicht warum. Denn der Mauerfall war ein toller, ein wunderschöner Tag, ein Tag der in Goethes Faust passen würde: „Verweile doch, Du bist so schön …“. Aber wie alle Tage, gehen auch die schönsten zu Ende, insbesondere, wenn sie eigentlich eine Nacht sind. Trotzdem, warum kommen einem die Tränen.

 

 

Ich bin kein Psychologe. Aber ich habe mir immer wieder diese Frage gestellt. Und ich will sie nicht psychologisch beantworten.

 

 

Ich denke, das hängt mit der Last zusammen, dem Alpdruck, der in diesem Moment des Mauerfalls von einem abgefallen ist. Ein Alptraum und die Befreiung von ihm, diese beiden Dinge hängen ja unmittelbar miteinander zusammen. Und so fühlt man im Moment des Glückes das Unglück mit, und kann es nicht ungeschehen machen. Es ist passiert. Auch was wir überwunden haben, bleibt in uns, ist unser Leben, ist unsere Geschichte. Es drängt nach außen, will wahrgenommen werden, will gelebt werden. Wir aber wollen unsere Alpträume hinter uns lassen. Und so passiert es, dass das erlebte Unglück manchmal erst im Moment des Glückes die Chance hat, zu uns vorgelassen zu werden.

 

 

Die DDR war ein Unglück. Viele Menschen sehen das heute nicht so. Sie wollen sich ihr Leben in der DDR nicht kaputtreden lassen, nicht vom Westen, nicht von diesen ehemaligen Bürgerrechtlern, zu denen ich mich selbstverständlich auch zähle. Ich will das auch gar nicht. Ich schicke das vorweg. Ich möchte niemanden seine Wahrnehmungen, seine Biographie nehmen, ignorieren, verleugnen, oder umdeuten. Ich möchte, dass sich jeder zu seinen Erinnerungen bekennen kann. Aber das gilt auch für jeden. Jeder muss das Recht haben, sein Leben so zu erinnern und so darüber zu reden, wie er es wahrgenommen hat. Das macht im Kern die Demokratie aus, und ist einer der entscheidenden Unterschiede zu hinter uns liegenden DDR, wo man sich nicht getraut hat, zu sagen was man fühlt, was man denkt.

 

 

Die DDR hat nicht nur die Meinungsfreiheit unterdrückt, sie hat auch Denkverbote ausgesprochen. Deutsche Einheit, freie Wahlen, Marktwirtschaft, freie Medien, bürgerliche Gesellschaft, freie Unternehmen, freie Gewerkschaften, freie Schulen, Reisefreiheit, demokratische Parteien waren Tabu. Wer sie ins Gespräch brachte, machte sich verdächtig. Wer in Ruhe leben wollte, durfte an diese Sachen gar nicht rühren. Er schloss sie tief in seine innere, seelische Schatzkammer ein. Dort ruhten sie Jahrzehnte. Manch einer hat sie sogar dort vergessen. Anpassung an die Diktatur war eine Tugend, die Eltern an ihre Kinder weitergaben, die, um Gottes Willen, kein loses Wort zu viel riskieren durften, damit sie ihre beruflichen Chancen in der DDR nicht verspielten. Manche gingen sogar drei Jahre dafür zur Armee, man war in den Pionieren, in der DSF, im FDGB, in den Kampfgruppen, in den Blockparteien. Viele trieben die Anpassung so weit, dass sie sogar in die SED gingen, obwohl sie überhaupt keine Kommunisten waren. Man ging zu den Kampfdemonstrationen und man ging falten. Die SED passte genau auf, ob sich hier wer verweigerte. Wenn sie das merkten, wurde es unangenehm. Es war extrem schwer in der DDR für die Vernunft einzutreten.

 

 

Die meisten Menschen machten einen guten Job, lebten für das Wohl ihres Betriebes, identifizierten sich mit ihren Leistungen. Sie bildeten Kinder aus, betreuten die Jugendlichen, machten soziale Arbeit, forschten auf hohem Niveau. Sie versuchten in ihrer Familie und persönlichen Umfeld eine liebevolle Athmospäre zu erzeugen, und haben das in der Regel auch geschafft. Dafür hat der mainstream den Begriff vom richtigen Leben im falschen erfunden. Ich würde das anders nennen: sich nicht unterkriegen lassen. Ich halte es für eine Selbstverständlichkeit, dass man seinen Beitrag zum Leben der Gemeinschaft geben will, dass man sich freut über Anerkennung. Und es ist auch eine Frage der eigenen Würde, dass man auch unter schwierigsten Bedingungen, seine Mitmenschen nicht im Stich lässt, sondern füreinander da ist, so gut es geht. Das war nicht einfach, und angstfrei war das schon gar nicht. Im Gegenteil, die Angst gehörte dazu, sie war unser ständiger Begleiter in der DDR. Nicht irgendwelche, sondern die Angst vorm Staat.

 

 

Das war unser Leben in der DDR, ist unsere Geschichte, und darüber ist heute zu reden.

 

 

Betrachten wir diese überwundene DDR von einer anderen Seite. Was war sie eigentlich, und was war ihre Mauer?

 

 

Hitler hatte 1939 einen fürchterlichen Krieg vom Zaum gebrochen. Deutschland hat ihn 45 verloren.

 

 

In der Folge wurde es geteilt. Ein Teil verschwand komplett. Den größeren Rest teilten sich die Alliierten untereinander auf. Seinen östlichen Teil bekam Stalin. Das war die sowjetische Besatzungszone.

 

 

Die Alliierten konnten sich nicht einigen darüber, was aus Deutschland als Ganzem wird. Im Gegenteil; der 2.Weltkrieg war ihnen so in die Glieder gefahren, Deutschland hatte eine solche Macht in Europa errungen, dass man diesen Zustand eigentlich nur mit Erfolg Napoleons vergleichen kann, der im Gegensatz zu Hitler ja eher ein Modernisierer war. Hitler war es gelungen, ganze Nationen verschwinden zu lassen: Polen, die Tschechoslowakei, Österreich, anderer hatte er besetzt. Von den freien Ländern in Westeuropa blieb nur Großbritannien übrig, dass mit dem Rücken an der Wand, um seine Existenz kämpfte. Im Osten blieb nur die Sowjetunion übrig. An diesem Riesen biss sich Hitler die Zähne aus. Und das auch nur deshalb, weil es von den USA unterstützt wurde, welche wiederum begriffen, dass es bei diesem Krieg auch um sie ging. Deshalb war die USA von Anfang an im Krieg gegen Hitlerdeutschland dabei.

 

 

Das muss man wissen, wenn man begreifen will, um was es für die Alliierten nach Kriegsende bei Deutschland ging. Denn der Kalte Krieg drehte sich in seinem Kern darum, wer Deutschland bekommt, ob Westen oder Osten. Im Kern also, wird Deutschland zum westlichen Einflussgebiet, oder zum sowjetischen, stalinistischen?

 

 

Der Kalte Krieg konnte militärisch nicht ausgetragen werden, weil der technische Fortschritt inzwischen Atomwaffen produziert hatte, die so schrecklich waren, dass sich beide Seiten, die US-amerikanische, als auch die sowjetische Seite sich darüber im Klaren waren, dass sie aus sittlichen Gründen nicht eingesetzt werden durften.

 

 

Es führe jetzt zu weit, das im Einzelnen zu belegen, aber Harry Truman, der ja bekanntlich zwei Atombomben über Japan abwerfen ließ, war klar geworden, dass der weitere Einsatz dieser Bomben jedes Kriegsziel in Frage stellen würde. Der Einsatz von Atomwaffen war nur für den sinnvoll, der die totale Vernichtung wollte. Nicht mal Stalin wollte ernsthaft, soweit wir das wissen, seine Atom- und Wasserstoffbomben einsetzen. Er wollte den Imperialismus vernichten, aber doch nicht die dortigen Gesellschaften. Die wollte er vielleicht besitzen, aber nicht töten, und so war das bei den Amerikanern auch.

 

 

Das führte zum Stillstand, und zur gegenseitigen Blockade. Die Deutschen konnten diesen Zustand nicht beenden, weil sie besetzt waren. Die USA und die Sowjetunion wollten es nicht, weil sie dem jeweils anderen keinen Fußbreit Erfolg gönnten.

 

 

Das ist der eine Aspekt. Der andere ist die Ungleichheit der jeweiligen Besatzungsmächte. Der Westen stand für Demokratie und Marktwirtschaft, schon wenige Jahre nach Kriegsende entwickelte sich Westdeutschland zu einem Wirtschaftswunderland. Ostdeutschland hingegen musste die ineffektive, sowjetische Staatswirtschaft praktizieren, und hatte außerdem eine leninistische Diktatur auszuhalten, deren schlimmster Exekutor Stalin gewesen war.

 

 

Im Grunde war die DDR die westlichste Ausdehnung des Stalin‘schen Riesenreiches, das hierbei durchaus auch neben seinem sozialistischen, in diesem Fall antikapitalistischen Selbstverständnis in der zaristisch-imperialen Tradition eines Kolonialreiches stand. Das ist der eigentliche Grund für das bittere Schicksals der DDR-Bevölkerung.

 

 

Dass die Menschen in Scharen aus der DDR flohen hat darin seine Ursache.

 

 

Ulbricht und Chrustschow wussten sich nur noch durch den Bau einer Mauer dagegen zu helfen. Die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit der DDR und der innere Zusammenhalt der der kommunistisch regierten Satellitenstaaten der Sowjetunion stand in Frage.

 

 

Demarkationslinie des Kalten Krieges und Gefängnis für die DDR-Bevölkerung, das ist die Mauer gewesen.

 

 

Ich sagte es schon, 1961 hatten wir das Gefühl, die steht jetzt lange dort. Beton gegen die Freiheit, gegen Lebensglück, wirtschaftliche Prosperität, gesellschaftliche Vielfalt.

 

 

Das sollte Jahrzehnte so bleiben.

 

 

Da ist viel passiert. Entspannungspolitik, neue Generalsekretäre, aber an der Grundkonstellation hat sich nichts geändert. Die DDR blieb was sie war, eine Diktatur und eine ineffiziente, ständig vorm Bankrott stehende Staatswirtschaft. Die Menschen wollten raus, viele. Die meisten aber hatten sich eingerichtet. Und was ist eine Flucht schon für eine Lösung? Eine individuelle schon, aber um den Preis von Wurzeln, Heimat, Familie, Vermögen. Eine politische aber nicht. Die ermöglichte erst die neue Politik Gorbatschows. Und das wurde in der Tat spannend. Er kam 85 an die Macht. Ob er seine Politik schon mitbrachte, oder erst als 1. Mann der SU entwickelte, das weiß ich nicht.

 

 

Er war offenbar nach einer eingehenden Kosten-Nutzen-Rechnung zu dem Schluss gekommen, dass er sich den Kalten Krieges, die militärische Hochrüstung und die Sicherung der Machtverhältnisse in seinen sozialistischen Bruderländer nicht mehr leisten konnte. Und so versuchte er die Gesellschaft in der SU zu revitalisieren durch Glasnost und Perestroika, und dann entließ er seine in den ost- und mitteleuropäischen Satellitenstaaten herrschenden Bruderparteien in die Selbstbestimmung. Das war für die ein Danaer-Geschenk.

 

 

Äußerlich ging es um die Breschnew-Doktrin. Diese Breschnew – Doktrin, die meines Wissens nicht auf dem Papier gestanden hat, war ein Bestandteil unserer DDR-Wirklichkeit. Sie war die politische Formel des sowjetischen Herrschaftsanspruchs über ihre ost- und mitteleuropäischen Satellitenstaaten, den sie, falls nötig, militärisch sichern würde.

 

 

Stalin hatte keine Breschnew-Doktrin. Ihm konnte man abnehmen, dass er keines seiner Gebiete freiwillig hergeben würde. Breschnew, Generalsekretär der 60 und 70-ger Jahre bekräftigte dies noch einmal und legitimierte damit den Einmarsch in Prag 68, in Ungarn 56, die Niederschlagung des Aufstandes bei uns 1953. Nur in Polen hatte man die Drecksarbeit von den polnischen Kommunisten selber machen lassen.

 

 

Damit war politischer Spielraum entstanden, für die SED eine Quelle von Angst, für die anderen der Hoffnung. Es hing von der politischen Analysefähigkeit ab, die Konsequenzen dieses Spielraums zu durchdenken. Die ersten die diesen Spielraum begriffen, waren die Polen und die Ungarn. In Polen führte das zu den ersten freien Wahlen im Juni 1989 im sowjetischen Herrschaftsgebiet überhaupt. In Ungarn veränderte die Kommunistische Partei die Verfassung und strich dort selbst ihren Wahrheitsanspruch, und sie öffnete ebenfalls im Juni den Eisernen Vorhang.

 

 

In der DDR machte sich die Oppositionsbewegung diesen Spielraum zu Nutze, am radikalsten die Gründer der sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP). Sie formulierten ihre Zielvorstellungen für eine Demokratie in der DDR, die aufs Haar der einer westeuropäischen Demokratie glich.

 

 

Das konnten sie natürlich nur machen, weil sie darauf vertrauten, dass Gorbatschow tatsächlich seine Truppen in den Kasernen ließ. Sie teilten seine Analyse, dass der Kommunismus, dass die SU bankrott ist. Gorbatschow selbst sprach von marode: „Von allen maroden Staaten in den kommunistischen Ländern sind wir das marodeste. Und wenn wir nicht aufpassen, dann droht uns ein Verlust, der größer ist als die russischen Gebietsverluste am Ende des 1.Weltkrieges.“ Das war die Analyse Gorbatschows. Gorbatschow wollte seine Sowjetunion retten, ihn kümmerte das Schicksal seiner Satellitenstaaten nicht mehr. Denen konnte er sowieso nicht mehr helfen.

 

 

Im Westen hat man das nicht glauben wollen. In der DDR hatte die SED Angst bekommen. Nur so erklären sich Sputnikverbot und diese merkwürdigen Sprüche, wie „die Mauer steht noch 50 Jahre, und wenns sein muss 100!“ (Erich Honecker) oder (Kurz Hager) „wenn unser Nachbar seine Wohnung renoviert, müssen wir noch lange nicht neu tapezieren!“. Die Menschen in der DDR spürten den schleichenden Machtverlust der SED. Deshalb begannen sie an den öffentlichen Aktionen der kleinen DDR-Opposition teilzunehmen. So kam es zu den Montagsdemonstrationen in Leipzig, die sich aus den seit Jahren stattfindenden allmontäglichen Fürbittandachten von Christoph Wonneberger und Christian Führer entwickelten. Wie ein Flächenbrand brach dann im Oktober 89 der Volksaufstand gegen die verhasste SED-Diktatur aus. Plauen 20000 Menschen, Leipzig am 9. Oktober 70000 Menschen. In Dresden führten am 7.,8. und 9. Oktober die durchreisenden D-Züge mit den Botschaftsflüchtlingen zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, in Berlin war’s die Wahlfälschungsdemo, die jeweils am 7. allmonatlich stattgefunden hatte, welche vor der Gethsemanekirche zusammengeknüppelt wurde.

 

 

Die SED traute sich nicht ihr auf die Leute zu schießen. Sie konnte es auch nicht, denn die SU hatte ihr dafür kein Plazet gegeben. Zwar ließ sie durchaus knüppeln, was die Gemüter sehr bewegt hat, aber die eigenen Leute sind ihr von der Fahne gegangen. Die Leute traten aus den Kampfgruppen aus, Offiziersschüler warfen ihre Waffen weg, und die kasernierte Volkspolizei verweigerte die Befehle.

 

 

Der Oktober 89 ging als Beginn einer friedlichen Revolution in die Geschichtsbücher ein, die wir uns selbst, und die Welt uns Deutschen nicht zugetraut hatte. Die Ostdeutschen machten Weltgeschichte.

 

 

Die damaligen Demonstrationen breiteten sich flächendeckend aus. Sie zwangen die SED-Repräsentanten zum öffentlichen Gespräch, wo sie ausgesprochen schlecht aussahen. Sie hatten nichts zu bieten. Sie konnten Diktatur, Demokratie konnten sie nicht.

 

 

Es kam zu Veranstaltungen, wo die Leute sie auslachten. Den letzten Rest bekamen sie auf der Großdemo am 4. November 89 in Ostberlin auf dem Alex, wo nicht wenige der Redner mit Hilfe eines verbesserten Sozialismus die DDR retten wollten. Sie kamen damit nicht durch, sie kamen nicht an. Die Reaktion der Demonstranten war eindeutig. Schabowski wurde so ausgebuht, dass der aschfahl geworden, vermutlich in diesem Moment begriff, dass das Spiel zu Ende war. Das war der Grund für den Mauerfall, und nicht dieser komische Zettel in der Pressekonferenz.

 

 

Diese Demo war übrigens auch Thema im Kreml, wo am 3.November eine Politbüro – Sitzung stattfand. Ob denn die Demonstranten gegen die Mauer gehen würden, wurde gefragt, woraufhin Schewardnadse klug bemerkte, dass das besser nicht passiere. „Die Mauer sollen die Genossen in Berlin schon selber öffnen.“

 

 

Das genau geschah am 9. November.

 

 

Hierzu hat jeder seine eigenen Erlebnisse. Ich zum Beispiel hatte am Nachmittag ein Gespräch meiner SDP mit einer Delegation der sozialistischen Fraktion des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments in Ostberlin, im Café des Palasts der Republik organisiert, was sich anstandslos machen ließ, auch wenns mir gespenstisch vorkam. Als wir abends im kleinen Kreis in einer Berliner Eckkneipe zusammensaßen und von der Maueröffnung hörten, stießen wir mit dem Spruch: „Wird auch Zeit“ darauf an, und tranken weiter.

 

 

Am Tag danach spricht Willy Brandt mit seinem berühmten Wort vom Zusammenwachsen, was zusammengehöre, zuerst mal sich selbst, aber auch vielen anderen aus dem Herzen. Ein neues Thema beginnt die Straße zu beherrschen. Doch eigentlich ist es ein altes. Siehe Berlin 53, oder Erfurt 1970.

 

 

Die Zeit danach war euphorisch, gleichzeitig voller Arbeit.

 

 

Runder Tisch, freie Wahlen, Schaffung einer demokratischen legitimierten Regierung, das Schaffen eines Staates vor dem nach Möglichkeit die Menschen keine Angst mehr haben müssen.

 

 

Das waren die Aufgaben in der Übergangszeit, wir haben sie gemeistert. Das war nicht einfach, und hat viel Kraft gekostet.

 

 

Die nächste Etappe war die Organisierung der Deutschen Einheit, die eben nicht einfach nur ein Anschluss unter der Nummer 23 war. In zwei Staatsverträgen mussten demokratische und gesamtdeutsche Institutionen geschaffen werden, und, das war uns am wichtigsten die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und rechtlichen Interessen der Ostdeutschen gegenüber den so übermächtig auftretenden Westdeutschen gewahrt werden.

 

 

Es war die Zeit, wo Leute wie Regine Hildebrandt als Arbeitsministerin zu einer der populärsten Politikerinnen der DDR avancierte; andere Minister, wie DDR-Innenminister Diestel entpuppten sich hingegen als Witzfiguren. Die DDR war in diesem halben Jahr eine richtige Demokratie geworden. Wer hätte das ein Jahr vorher noch gedacht.

 

 

Wir haben damals viel erreicht, aber nicht alles.

 

 

Die Deutsche Einheit war eine Lösung für viele unserer Probleme. An manchen Stellen aber hat sie schonungslos den Zustand ostdeutscher Institutionen offengelegt, und zu extremen Härten für die Ostdeutschen beigetragen. Geradezu traumatisch waren für manche die Erfahrungen mit der Treuhand, welche die Aufgabe hatte, die ostdeutschen Betriebe zu privatisieren. Entindustrialisierung lautet das Schlagwort, mit dem deren Arbeit damals beschrieben wurde. Das war ungerecht, und traf doch die Stimmung. Viele Menschen fühlten sich in ihrer Hoffnung, nun endlich mal den gerechten Lohn für ihre Leistung erhalten zu können getrogen. Sie bekamen die Rechnung für die DDR präsentiert, da war die schon Jahre tot.

 

 

Zu den großen Leistungen auf die wir gemeinsam stolz sein können, gehören die gewaltigen Mittel die für den Aufbau Ostdeutschlands und unseren sozialen Zusammenhalt mobilisiert werden konnte. Kohl wollte diese gigantischen Mittel ja niemals zugeben. Ich traf damals als junger MdB den Hauptabteilungsleiter Haushalt des damaligen Bundesfinanzministers in der Kantine des Bundestages in Bonn. Auf meine Frage, was denn die Deutsche Einheit nun wirklich koste, sagte der ehrlich: „Na ja, eine halbe Billion (DM) haben wir schon reingesteckt. Bei der weiteren halben Billion sind wir jetzt, und eine weitere halbe wird wohl noch fließen müssen.“ Heute wissen wir, dass ca. eine Billion € für Ostdeutschland aufgewendet wurden. Damit wurde das soziale Netz, die demokratischen Institutionen, die Infrastruktur und der wirtschaftliche Wiederaufbau finanziert. Letzterer ist m.E. noch nicht abgeschlossen, gleichwohl ist er mit Fördermitteln alleine nicht zu organisieren. Wir alle gemeinsam können auf diese Leistungen stolz sein. Ich lasse das von niemanden zerreden. Früher sprachen wir mal vom Lastenausgleich, der uns in Ostdeutschland fehle, die Vertriebenen hätten ihn damals in der alten Bundesrepublik gehabt. Der tatsächliche Mitteltransfer für Ostdeutschland, an dem sich selbstverständlich auch die Ostdeutschen beteiligen, übertrifft den damaligen Lastenausgleich um ein Vielfaches.

 

 

Das alles ist gut.

 

 

Doch am schönsten ist die Freiheit für mich. Ich weiß, dass Freiheit durch fehlende soziale und wirtschaftliche Absicherung entwertet zu werden droht. Deshalb muss gerade der, der Freiheit will, sich mindestens genauso stark um Solidarität und Gerechtigkeit kümmern. Doch ohne Freiheit geht das alles nicht.

 

 

Freiheit ist das höchste Gut, das wir an unsere Kinder weitergeben können und müssen. Doch Freiheit kann man nicht lehren, Freiheit will gelebt werden, vorgelebt und erlebt werden. Freiheit haben sich die Bürger der DDR 1989 erkämpft. Der Mauerfall ist eine Folge dieses Kampfes um Freiheit.

 

 

Freiheit ist nichts Beliebiges, es hat damit zu tun, wie ich denke, und was ich fühle. Letzteres hängt ja auch sehr eng miteinander zusammen. Freiheit will nicht einfach gefüllt werden, aber ich brauche sie, wenn ich anfange, Grenzen zu sprengen. Und die stärksten Grenzen stecken in uns selbst, in unserem Denken, in unserem Handeln. Freiheit hat etwas mit Zutrauen, Vertrauen, vor allem mit Selbstvertrauen zu tun. Ohne Selbstvertrauen fehlt uns der Mut, Dinge anzupacken, vor denen andere zurückschrecken, von deren Bedeutung ich selbst aber überzeugt bin.

 

 

Viel zu häufig schüchtert unsere Gesellschaft Menschen ein, statt sie zu ermutigen. Wir sind sehr selbstkritisch, und merken gar nicht, wie wir auf diese Weise uns selbst und andere hemmen, neue Wege zu gehen.

 

 

Als wir uns daran machten, die Fesseln der SED-Diktatur zu sprengen, da hatten wir von niemanden Unterstützung, wenns hoch kam, vielleicht Verständnis.

 

 

Die Macht der SED zu brechen, war ein gewaltiger Akt, war eine Riesenherausforderung.

 

 

Niemand soll glauben, dass es die heutige Generation leichter hat. Die Probleme sind andere geworden. Klimawandel, ausufernder Kapitalismus, den wir zwar brauchen, aber gleichzeitig zähmen müssen, neue soziale Schieflagen, exorbitanter Reichtum bei wenigen, aber auch die europäischen Herausforderungen, z.B. in der Ukraine oder in Russland, verlangen Kreativität und Mut. Eine Gesellschaft, die hier einfach nur den vorhandenen Institutionen vertraut, ohne sie kritisch zu begleiten, ohne sich einzumischen, ohne zu fordern, und sich einzumischen, ist zur Enttäuschung verdammt. Politik macht Spaß, wenn man beginnt sie zu betreiben.

 

 

Mut braucht es immer, wenn man beginnt seine eigenen Wege zu gehen. Aber es ist ein Versprechen damit verbunden. Das ist das Versprechen des Lebens selbst, das den belohnt, der seiner Neugierde, seinem Tatendrang beginnt zu folgen. Und das gilt für alle gesellschaftlichen Bereiche, nicht nur die Politik, dort aber insbesondere.

 

 

Freiheit hat etwas mit Emanzipation zu tun, von den alten Denk- und Handlungsmustern. Es gibt kein Problem unserer Tage, das sich ohne eine derartige Emanzipation lösen ließe. Deshalb liebe Eltern, lasst Eure Kinder eigene Erfahrungen machen, traut ihnen zu, dass sie ihren Weg selber gehen können. Und den Nachwachsenden will ich sagen, geht in die Welt, die wartet auf Euch, aber sie kommt nicht von alleine zu Euch.

 

 

In Ostdeutschland liegt noch manches im Argen. Ich will das nicht alles benennen. Man spricht hier manchmal von strukturschwachen Gebieten. Lasst es nicht zu, dass das ein Vorwurf werden kann. Man kann zu neuen Ufern aufbrechen, ohne die Heimat verlassen zu müssen.

 

 

Die Uckermark ist eine alte Region, die viel Zukunft vor sich hat. Überall dort, wo Menschen aufbrechen, die Welt hier her holen, sie hier leben, Neues wagen, erhöhen sie gleichzeitig die Attraktivität dieser Region.

 

 

Das wird unsere Zukunft sein. Dafür haben wir die Fesseln gesprengt, und die Mauer geöffnet. Wir haben die Freiheit in unser Land zurückgeholt. Freiheit wird einem nicht geschenkt. Die muss man sich nehmen. Das ist die Botschaft der Maueröffnung vor 25 Jahren.